© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Schleswig: Vor 80 Jahren entschied sich Nordschleswig für Dänemark
Nicht mehr bis an den Belt
Jochen Arp

Unter den Regelungen der Grenzen des Deutschen Reiches, die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg von den Siegermächten in dem Friedensvertrag von Versailles erzwungen wurden, gehört die der deutschen Nordgrenze zu den wenigen, die mittelfristig tatsächlich zu einer Befriedigung führten. Die Abstimmungen im nördlichen Teil der damals preußischen Provinz Schleswig-Holstein entsprachen in der Tat dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die vor 80 Jahren im Jahre 1920 gemäß den Ergebnissen der Abstimmungen festgelegte Grenze lebt bis heute unverändert. Sie markiert nicht nur die Grenze zweier Staaten, sondern die von zwei Völkern, die auf den ersten Blick kaum Unterschiede zeigen, bei genauerem Hinsehen jedoch deutlich verschiedene Kulturen erkennen lassen.

Die von Nord- und Ostsee umspülte Landbrücke nach Jütland wurde nach der Völkerwanderung neu besiedelt. Der westgermanische Stamm der Sachsen drang über die Elbe nach Norden vor und ließ sich bis zu einer Linie, die etwa südlich der heutigen Stadt Schleswig quer durchs Land nieder. Später wurde der westliche an der Nordsee gelegene Landstrich sowie die vorgelagerten Inseln die Heimat eines anderen westgermanischen Stammes, der Friesen. Vom Osten sickerten wendische Stämme ein und gründeten Dörfer entlang der Ostseeküste bis etwa in die Gegend von Kiel, um dann aber aufzugehen in der sächsischen Mehrheitsbevölkerung.

Die jütische Halbinsel wurde von den nordgermanischen Stämmen der Jüten und Dänen besiedelt, die Halt machten an einer Linie nördlich des heutigen Flensburg. Das zwischen der Flensburger Förde und der schleswigschen Schlei gelegene Gebiet wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem Mischgebiet von eingesickerten Nordgermanen und Westgermanen.

Ein Blick auf die jetzigen Einwohnerverhältnisse zeigt, daß selbst heute noch diese Grenze zwischen den damals das Land bewohnenden Stämmen den nationalen Unterschieden entspricht. Aus Sachsen, Friesen und Wenden wurden Deutsche, im Norden aus den eingewanderten nordgermanischen Stämmen die Dänen.

Als nach der Französischen Revolution überall in Europa das Nationalbewußtsein erwachte, formierten sich in dem deutsch besiedelten Teil Schleswig-Holsteins die Deutschen ebenso, wie im nördlichen Teil es die Dänen taten. Aus Untertanen absolutistischer Fürsten waren mitdenkende und mitentscheidenwollende Bürger geworden, die sich über ihre Kultur ihrer jeweiligen nationalen Identität bewußt geworden waren. Nachdem die Erhebung, zu der die deutschen Schleswig-Holsteiner mit der Forderung antraten, sich den deutschen Einigungsbestrebungen anzuschließen und sich eine demokratische Verfassung zu geben, vor allem unter dem Druck der europäischen Großmächte gescheitert war, hatte 14 Jahre später der Krieg zwischen Preußen und Österreich einerseits und Dänemark andererseits die deutschen Herzogtümer Schleswig-Holstein tatsächlich ans erstrebte Ziel gebracht; ab 1871 gehörten sie zum Deutschen Reich. Dabei spielten nur die dynastischen Grenzen der Herzogtümer eine Rolle, zunächst nicht aber die volkliche Zusammensetzung der Bevölkerung. Nordschleswig war immer mehrheitlich von Dänen besiedelt mit Ausnahme der Städte, wie Tondern, Apenrade, Haderslaben, Sonderburg. Bismarck hätte nicht opponiert, wenn die Bewohner des umstrittenen Gebietes in einer Volksabstimmung selbst hätten entscheiden können, zu welchem Staat sie gehören wollten. Er scheiterte aber am Einspruch des zaristischen Rußlands, dessen Gesandter bei den Verhandlungen erklärte, "das Urteil der europäischen Regierungen dürfe nicht der Meinung der schleswigschen Volkshaufen untergeordnet werden. Man könne nicht Untertanen fragen, ob sie ihrem Souverän treu bleiben wollten." Auch die dänische Regierung lehnte jede Teilung Schleswigs und damit jede Volksabstimmung ab. So blieb es bei der historischen Grenze Schleswigs, was dazu führte, daß die Provinz eine nicht unerhebliche dänische Minderheit in ihren Grenzen beherbergte.

1919 bestimmte dann das Versailler Diktat, daß ein dänischer Plan Teil des Vertragswerks wurde, nach dem der nördliche Teil Schleswig-Holsteins in zwei Zonen über die nationale Zugehörigkeit abstimmen sollten.

Plebiszite unter der Kontrolle der Sieger

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich die nationale Auseinandersetzung in dem nunmehr zum Deutschen Reich gehörenden Nordschleswig erheblich verschärft. Dazu beigetragen hatte zum einen die massive Unterstützung, die die dänische Minderheit aus dem Mutterland erfuhr, aber zum anderen auch eine verletzende preußische Nationalitätenpolitik den Dänen gegenüber. So stachelte gerade die zwangsweise Einführung der deutschen Sprache in Kirche, Schule, Rechtsprechung und Verwaltung den dänischen Widerstand an, genauso wie 50 Jahre vorher die rigide Politik der Dänisierung in den nach der Niederlage der Schleswig-Holsteiner an den dänischen Gesamtstaat zurückgefallenen deutschen Herzogtümern Schleswig und Holstein die Deutschen zu einer heftigen Betonung ihres Volkstums gebracht hatte.

Die 1. Abstimmungszone umfaßte den nördlichsten Streifen Nordschleswigs und war im Süden begrenzt von einer Linie südlich von Tondern und nördlich von Flensburg. Hier sollte die Bevölkerung am 10. Februar 1920 ihre Stimme abgeben. Das Stimmrecht war gebunden an die Heimat und galt für die im Abstimmungsgebiet geborenen oder mindestens 20 Jahre dort ansässigen Männer und Frauen. Beide Volksgruppen bemühten sich nach Kräften, ihre ausgewanderten oder ausgewiesenen Landsleute aus allen Gegenden der Erde zur Abstimmung in die Heimat zu holen.

Fünf Wochen später, am 14. März 1920, sollten dann die Schleswiger der 2. Zone mit dem Zentrum Flensburg ihre Stimmen abgeben.

Während der Zeit des Plebiszits wurde der Abstimmungsbereich internationaler Kontrolle unterworfen. Unter einer alliierten Kontrollkommission übten Truppen der Siegermächte die Aufsicht aus. Wie hoch die nationalen Wellen schlugen, beleuchtet folgender Vorgang : "Bei einer Premiere des "Wilhelm Tell" im Flensburger Stadttheater in Anwesenheit der Kommissionsmitglieder erhob sich während des 2. Aktes das deutsche Publikum und sprach den Rütli-Schwur mit: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr ...". Gleichzeitig wurden von den Rängen blau-weiß-rote- und schwarz-weiß-rote Flaggen entrollt. Das soll auf die anwesenden Franzosen und Briten großen Eindruck gemacht haben."

Die Abstimmung in der ersten Zone brachte den erwarteten dänischen Sieg . Es war für die Dänen ein großer Tag der "Wiedervereinigung", dessen man auch heute noch im Königreich gedenkt. Mit dem Wiedergewinn des Gebiets war aber auch die Existenz einer beachtlichen deutschen Volksgruppe verbunden, hatten doch die Städte teilweise große deutsche Mehrheiten ergeben, so Tondern mit 76 Prozent deutscher Stimmen, Hoyer (73 %), Apenrade (54 %) und Sonderburg (55 %). Vor allem im westlichen Teil Nordschleswigs gab es im Grenzgebiet viele Gemeinden mit deutschen Mehrheiten. Doch blieb diese Tatsache bei der Grenzziehung unbe- rücksichtigt, da nach dem Willen der Alliierten in der ersten Zone en bloc abgestimmt werden mußte, was auf deutscherseit Verbitterung hervorrief und gerade bei der deutschen Minderheit noch Jahrzehnte nach der Volksabstimmung immer wieder die Forderung aufkommen ließ, die Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Ganz anders entschied sich – zur Enttäuschung vieler Dänen – die Einwohnerschaft Flensburgs in der zweiten Abstimmungszone. Dabei waren die Verhältnisse, unter denen die Bürger zur Wahlurne gingen, alles andere als günstig für Deutschland. Das Reich litt unter dem verlorenen Krieg, unter der Demütigung durch die Sieger wie durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, verursacht nicht zuletzt durch die unmäßigen Reparationsleistungen, und durch politische Zerrissenheit.

Über alle Parteigrenzen hinweg aber herrschte im ganzen Abstimmungsgebiet eine breite nationale Solidarität, die auch nicht erschüttert wurde durch den Kapp-Putsch, der am Tag vor der Abstimmung in vielen Teilen Deutschlands losbrach und das Reich in Turbulenzen stürzte. So erbrachte die Abstimmung in der zweiten Zone insgesamt etwa 52.000 deutsche gegen knapp 13.000 dänische Stimmen. Nahezu alle Gemeinden stimmten für Deutschland. Der Historiker Wolfgang Weimar urteilte: "Das Ergebnis der Abstimmung in der 2. Zone war ein großer Erfolg des Deutschtums in einem schweren geschichtlichen Augenblick.

Das Deutsche Reich schenkte den Flensburgern als Dank für ihr Bekenntnis später das Deutsche Haus, das den größten Veranstaltungssaal Flensburgs enthält. Über dem Eingangstor ist die Widmung zu lesen: "Reichsdank für deutsche Treue".

So wie nördlich der Grenze eine deutsche Volksgruppe, so existiert südlich der Grenze eine dänische Minderheit. Beide Bevölkerungsgruppen hatten dank der Übereinkunft zwischen Deutschland und Dänemark von Anfang an kulturelle Autonomie. Sie verfügten über ihre eigenen Schulen und sozialen wie kulturellen Einrichtungen.

Bei der ersten Wahl zum dänischen Folketing am 21. September1920 errang die Partei der deutschen Minderheit 7.500 Stimmen und konnte einen Abgeordneten ins Kopenhagener Parlament entsenden (gegenüber insgesamt 44.790 dänische Stimmen in Nordschleswig). Bei der Reichstagswahl 1921 wurden im Gebiet des deutsch gebliebenen Teils Schleswigs 4.966 dänische Stimmen gezählt.

Friedliches Nebeneinander in den Grenzregionen

Während die deutsche Minderheit im dänischen Nordschleswig bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges nicht nur stabil war, sondern sogar anwuchs (15.000 deutsche Stimmen bei Wahl zum dänischen Folketing im April 1939), schmolz die dänische Minderheit im selben Zeitraum auf 1.694 Stimmen (Reichstagswahl November 1932). Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen schwoll die dänische Minderheit angesichts der ungewissen Zukunft Deutschlands auf fast 100.000 Stimmen 1947 an, mußte aber nach Normalisierung der deutschen Verhältnisse ein Absinken auf 19.700 Stimmen bei der Landtagswahl 1971 hinnehmen. Seitdem allerdings wächst der Stimmenanteil der Partei der dänischen Minderheit, des SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Bei der Kommunalwahl 1996 konnte der SSW schon 38.200 Stimmen auf sich vereinigen, bei der Landtagswahl am letzten Sonntag stimmten 60.286 Dänen und Deutsche für den SSW.

Alles in allem leben im deutsch-dänischen Grenzgebiet die Minderheiten friedlich neben der Mehrheitsbevölkerung, in manchen Fällen sogar mit ihr zusammen. Beide Volksgruppen aber sind unausweichlich dem Prozeß der Assimilierung an die Mehrheitsbevölkerungen ausgesetzt. Die Anzeichen dafür sind deutlich.


 
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