© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Bildungskrise: Schröder befürwortet Einwanderung wegen Fachkräftemangel
Deutsche zu bequem
Bernd-Thomas Ramb

Die Klage der Informationstechnologie-Wirtschaft (IT) über Personalmangel ist mittlerweile so laut, daß sie sogar das Ohr des Bundeskanzlers erreicht. Der wäre nicht Schröder, wenn er diese Gelegenheit zur spektakulären Selbstdarstellung à la Holzmann verpassen würde. Seine Lösung: Massenweise deutsche Aufenthaltsgenehmigungen ("Green Cards") an indische Programmierer zu verteilen.

Die Nachteile liegen auf der Hand. Ähnlich wie bei den polnischen Bauarbeitern drücken die billigen Ausländer das inländische Lohnniveau, ein marktwirtschaftlich sinnvoller, aber eher langfristiger Effekt, da – im Gegensatz zum Bau – auf dem Arbeitsmarkt kaum arbeitslose Informatiker vorzufinden sind. Wenn die Umschulung vom Bauarbeiter zum Informatiker billig zu haben wäre, hätten die Großbetriebe schon längst firmeneigene Ausbildungsmaßnahmen eingeleitet. Als es Anfang der siebziger Jahre einen Mangel an Programmierern gab, scheiterten bereits Versuche, arbeitslose Metzger zu EDV-Profis umzuschulen, an der fehlenden Grundqualifikation der Umschüler.

Was Hänschen in der Grund- und Gesamtschule nicht beigebracht bekommt, lernt Hans auch nicht mehr auf den überfüllten Fach- und Gesamthochschulen, geschweige denn in den Umschulungsmaßnahmen der Arbeitsämter. Die Cracks der Computerbranche sind heutzutage meist junge Leute, die rechtzeitig aus dem staatlichen Bildungssystem ausgestiegen sind, bevor sie akademisch verblödeten. Überhaupt spielt der Neue Markt nach seinen eigenen Regeln, die sich der amtlichen Regulierungswut schnell entziehen. Viele neue Unternehmensbereiche sind aus der Flucht vor der überregulierten Wirtschaft entstanden. Wer also die Ursachen der personellen Unterversorgung auf den Neuen Märkten erkennen will, muß zuerst einen Blick auf unsere überregulierte und fehlgesteuerte Welt werfen, allem voran auf das marode Bildungssystem.

Die Kette der Fehlentwicklungen reicht weit in die Vergangenheit der verpatzten Bildungsreformen und fesselt auf längere Zeit die künftige Entwicklung des Arbeitsmarktes. Der Schmusekurs in der Grundschulbildung, die Verteufelung der Leistungskontrolle und die Verdrängung grundlegender Bildungsfächer, wie Deutsch, Mathematik und Latein, zugunsten softer Soziologie und Gesellschaftskunde sind schwer korrigierbare Fehlsteuerungen. So verwundert es nicht, daß Abiturienten eine Verlängerung der Annehmlichkeiten auch im Studium anstreben. Folgerichtig ist der Hauptstudienwunsch von Abiturienten das Fach Betriebswirtschaftslehre, dessen Studium als einfach gilt und dessen Abschluß ein hohes Anfangsgehalt verspricht.

Aktueller ist die Spezifizierung auf den Wirtschaftsinformatiker. Oberflächlich betrachtet eine durchaus rationale Reaktion auf die beruflichen Möglichkeiten, die die Neuen Märkte bieten. Dementsprechend verfestigt sich der Druck auf die Hochschulen, weitere modische Studiengänge einzurichten und damit eine Fehlentwicklung der letzen Jahre im Bildungsbereich fortzusetzen: die Entwissenschaftlichung der Universitäten. Hinzu kommt eine zwangsläufige Personal-Paradoxie: Wenn die IT-Firmen schon über Personalmangel klagen und für ihre wenigen Leute Spitzenlöhne bezahlen müssen, wer ist dann schon bereit, sich mit ignoranten Kollegen, unflexiblen Hochschulbürokraten, entnervenden Gremiensitzungen und unreifen Studenten herumzuschlagen.

Der Lösungsansatz ist für die Intelligenten einfach: Raus aus dem bestehenden Bildungssystem, die notwendigen Fähigkeiten werden autodidaktisch erworben. Die eigene Geschäftsidee wird, wie weiland bei Steve Jobs (Apple-Computer) und Bill Gates (Microsoft), in der Garage oder im Kellerbüro umgesetzt, deutsche Bürokratiehemmnisse durch Emigration ins Ausland beseitigt.

Der gesellschaftliche Lösungsansatz ist zwar simpel, aber schwieriger und langwieriger umzusetzen: In der Schule ist die Rückkehr zur Hauptbetonung der Grundfächer notwendig, an den Hochschulen die Konzentration auf den klassischen Fächerkanon. Das Studium ist auf die akademischen Grundfertigkeiten, insbesondere das analytische Denkvermögen, auszurichten und nicht auf spezielle Berufsbilder zu beschneiden. Die Neuen Märkte und ihre Erfordernisse, besonders aber die Pfiffigkeit der jungen Unternehmer bei der Entwicklung alternativer Lösungen, erzeugen zum Glück den nötigen Dampf, der für diese Veränderungen nötig ist.


 
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