© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Kolumne
Jesus und Marx
von Klaus Hornung

Um es klar zu sagen: Ich respektiere Michail Gorbatschow als bedeutenden Staatsmann. Seine Perestroika-Politik vor zehn Jahren unterlag zwar dem Geschichtsgesetz der "ungewollten Wirkungen". Er hatte die Sowjetunion reformieren, nicht abschaffen wollen, beugte sich dann aber der Einsicht in ihre Nicht-Reformierbarkeit. Und er stieß nicht zuletzt das Tor zur deutschen Einheit auf.

Auch was er kürzlich in einem Interview mit Franz Alt (JF 8/00) über Globalisierung und einen verantwortungslosen Profit-Kapitalismus sagte, findet meine weitgehende Sympathie. Widersprechen muß ich jedoch seinem Urteil über Karl Marx. Auch er unterliegt, wie viele Sozialdemokraten und selbst Liberale, dem Fehlurteil eines angeblich "humanistischen" Marx. Das ist bei seiner Herkunft nicht unverständlich. In meinem Buch "Der faszinierende Irrtum – Karl und die Folgen" (1978, 1982) sowie im Marx-Kapitel meines Buches "Das totalitäre Zeitalter" habe ich bereits auf die beiden wichtigsten Fehlurteile über Marx hingewiesen. Zum einen haben Marx und Engels als Kinder ihrer Zeit eine Wachstumsphilosophie vertreten, die den Kommunismus als Ergebnis der "Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums" erwartete. Man lese hierzu nur das hohe Lied der beiden Propheten im Kommunistischen Manifest über die Entfesselung "massenhafterer und kolossalerer Produktionskräfte" durch den Kapitalismus als in "allen vergangenen Generationen zusammen". Und zum anderen hat Marx mit seiner Ökonomie und Anthropologie der "Selbsterzeugung des Menschen durch die Arbeit" die Grundlagen jener Herrschafts-Ideologie gelegt, einer innerweltlichen Erlösungslehre, die für das industrielle Zeitalter wie geschaffen erschien und deren Faszination zeitweilig die Massen in ihren Bann schlug, bekanntlich gerade auch in der totalitären Sowjetunion. In Marx’ politischem Messianismus war zumindest die Möglichkeit der stalinistischen Entartung angelegt.

Gewiß: Der heutige industrielle Ressourcenverbrauch in der Welt "hat keine Zukunft – das geht einfach nicht" (Gorbatschow). Aber weder Marx’ faszinierende Irrtümer noch Franz Alts steter Versuch, den Stifter des Christentums vor allem als sozialistischen Ideologen in Anspruch zu nehmen, scheinen mir tragfähige Wege zu sein, um den dringlichen Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Wir sollten in beiden Fällen tiefer loten und uns die Richtung von der ganzen europäischen Theologie, Philosophie und Geschichte weisen lassen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an  der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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