© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000


Wagner besiegt Gerhardt
von Detlef Kühn

Welcher Teufel mag den FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt geritten haben, im Umgang mit den Folgen des Finanzskandals in der hessischen CDU gegenüber dem eigenen Landesverband die Machtprobe ausgerechnet in einer Frage zu suchen, bei der die FDP – so oder so – nur verlieren konnte? Soll etwa neuerdings bei den Liberalen das Führerprinzip eingeführt werden? Oder wie ist es sonst mit Satzung und innerparteilicher Demokratie zu vereinbaren, durch Präsidium und Bundesvorstand entscheiden zu wollen, wie sich Landespartei und Landtagsfraktion in Hessen, die allein zuständig sind, gegenüber dem Koalitionspartner und dem Ministerpräsidenten Koch zu verhalten haben?

Die FDP steht vor dem Dilemma, weder mit ihren richtigen Sachaussagen in der Steuerpolitik noch mit dem Funktionsargument, sie werde von den sogenannten Volksparteien zum Regieren gebraucht, dauerhaft mindestens fünf Prozent der Wähler an sich binden zu können. Sie ist damit von Fall zu Fall auf Wähler angewiesen, die eigentlich eine andere Partei bevorzugen, mal die CDU, mal die SPD. In Schleswig-Holstein hat dies der Partei des politischen Liberalismus einen bejubelten, aber angesichts der Verhältnisse in der CDU doch recht bescheidenen Zugewinn von 1,9 Prozent aus dem Lager der CDU-Wähler eingebracht. Als dauerhaften Zuwachs sollte die FDP diesen Erfolg besser nicht verbuchen. Unter diesen Umständen hatte die hessische FDP-Vorsitzende Ruth Wagner eigentlich die nach Ansicht vieler führenden FDP-Politiker "richtigen" Argumente auf ihrer Seite. Wenn man bereits mitregiert, welchen Sinn macht es dann, eine einigermaßen funktionierende Koalition zu zerschlagen, nur um anschließend in einem voraussichtlich besonders schwierigen Wahlkampf potentielle CDU-Wähler davon zu überzeugen, daß sie ebendieser Koalition nochmals eine Chance geben sollten?

Aber wollte die FDP-Führung nicht endlich der politischen Moral zum Durchbruch verhelfen? Der Mehrheit der Delegierten in Hessen erschien das zu Recht als Heuchelei. Ihnen war die Macht in Wiesbaden wichtiger als die Hoffnung auf Honorierung dieser Heuchelei durch die Wähler. Wolfgang Gerhardt hätte das wissen müssen, denn es entspricht seiner eigenen Machtlogik. Solange die FDP mangels einer überzeugenden Politik auf das Funktionsargument angewiesen ist, muß sie sich so verhalten, wie sie es in Hessen vorgeführt hat. Erst wenn sie in den existentiellen Fragen der Einwanderung- und Europapolitik, des Multikulturalismus und seiner Folgen, der Asylpolitik und ihrer verhängnisvollen Auswirkungen auf die Sozialkassen zu einer überzeugenden Politik findet, kann sie sich auch wieder Moral leisten.


 
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