© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000


Die Generalspistole
von Götz Kubitschek

Ein Soldat, der seine Waffe verliert, wird zu Recht bestraft. Vor Jahren, als es in der Bundeswehr noch Brauch war, mittels Leibesübungen verlorene Gegenstände zurückzuersteigern, gab es eine Art Preisliste, die recht genau den militärischen Wert einer Fundsache widerspiegelte. Für Unterwäsche hatte ein Rekrut ein Dutzend Liegestützen abzupumpen, etwa das Doppelte für Kochgeschirr. Mit der militärischen Nutzbarkeit stieg der Preis: die Anzahl der Liegestützen bei Kartenmaterial und leeren Gewehrmagazinen stieg auf 100. Ein verlorenes Gewehr wurde auf andere Weise zurückgegeben: Der Rekrutenzug trat an, der Mann ohne Waffe wurde nach vorne gerufen und erhielt ganz ohne Kommentar sein Gewehr ausgehändigt, von nun an: nicht mehr ganz ernst genommen, ein wenig bemitleidet, von nun an: kein ganzer Soldat mehr. Das renkte sich erst wieder ein, wenn er Leistung zeigte.

Am 28. Februar hat der deutsche General Klaus Reinhardt, derzeit Kommandeur der Kosovo-Friedenstruppe KFOR, in einer Menschenmenge seine Pistole eingebüßt. Der Vorfall ereignete sich in Mitrovica, nahe der Ibar-Brücke, über die seit Wochen Kosovo-Albaner den Zugang ins serbische Stadtviertel suchen. Es sei beschämend, daß dies geschehen sei, ließ Reinhardt über seinen Sprecher, einen italienischen Oberstleutnant, mitteilen. Zur Entschuldigung hieß es, der General sei in den Versuch verwickelt gewesen, eine aufgebrachte Menschenmenge zu beruhigen. Er sei sich über den Ernst des Vorfalls bewußt, werde jede Strafe annehmen und wolle in erster Linie als Soldat, erst in zweiter als General behandelt werden. Die symbolische Bedeutung des Verlustes ist jedoch nicht mehr zu tilgen. So möchte die deutsche Armee schwierige Situationen ausdiskutieren, versteckt sich hinter Begriffen wie Konfliktmanagement und Deeskalation und braucht tatsächlich keine Waffen mehr. Eine Friedenstruppe, die es allen gut und niemandem weh tun möchte, verschwindet zu Recht im Gewühl einer aufgebrachten Menschenmenge, anstatt von erhöhtem Standpunkt aus die Massen auseinanderzujagen und den eigenen Beschluß umzusetzen.

Die deutsche Armee kämpft um ihr internationales Ansehen und will zumindest in den unteren Dienstgradgruppen vom Nato-Partner ernst genommen werden. Doch schon der Somalia-Einsatz hat Bilder geprägt, die jeder Angehörige der Bundeswehr als Päckchen zu tragen hat: Da mußten sich die deutschen Soldaten beim ersten Schuß in ihre Bunker verziehen, während oben die Amerikaner und Briten die Lage klärten. Diesmal läßt sich ein General entwaffnen, der wohl von vorne führen wollte, es aber offenbar nicht konnte.


 
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