© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Belgien: Der Vlaams Blok als ultimatives Schreckgespenst nach Haider
Alpenföhn über Flandern
Anneke Nagtegaal

Kein Tag geht vorbei, ohne daß der Alpenföhn über die ehemaligen Österreichischen Niederlande rast. Und immer wieder begibt sich Belgiens Außenminister Louis Michel Richtung Faux Pas und ist sogar selbst Faut Pas. Kein Wunder, daß er letzte Woche auf dem Titelbild der Fernsehzeitschrift Télémoustique  landete, und zwar als Zorro verkleidet. Obwohl das mit Zorro trifft gar nicht zutrifft: die internationale Kommunalpolitik, die Louis Michel betreibt, und seine runden Formen machen aus ihm vielmehr einen Sergeant Garcia: gutgemeint ist öfter das Gegenteil von gut. So war auch Geert Bourgeois‘ Initiative zu verstehen: der Vorsitzende der Volksunie (VU) hatte vor einigen Wochen einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem es möglich wäre, "extremistischen Parteien wie den Vlaams Blok" zu verbieten. Außer den Grünen von AGALEV (Anders Gaan Leven) reagierten alle Parteien zurückhaltend und abweisend.

Die VU möchte die Befugnisse des belgischen Schiedshofes so erweitern wie die des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, das 1952 die Sozialistische Reichspartei und 1956 die KPD verboten hat. Die Belgische Variante wäre, daß dieses Gericht die Parteiprogramme und Publikationen durchleuchtet und beurteilt. "Es müßte auch bestimmen, ob eine Partei demokratisch ist", so VU-Sprecher Koen T‘Sjien. "Falls eine politische Partei nicht demokratisch befunden wird, soll man sie auch verbieten. Wir denken dabei an Vlaams Blok und an die flamenhassende Front Democratique des Francophones, die FDF, die Partei, mit der die Francophonen Liberalen der PRL alliiert sind." Die VU nennt die heutige Situation um Vlaams Blok herum "schizophren". "Wir legitimieren den cordon sanitaire um den Blok dadurch, daß wir die Partei undemokratisch nennen. Wenn eine Partei tatsächlich undemokratisch ist und die Spielregeln der Demokratie nicht respektiert, dann sollte man sie ausschließen. Das ist logisch. Die jetzige doppelte Haltung und Politik ist für die Bürger sehr verwirrend. Sie glauben nicht mehr, daß der Vlaams Blok wirklich undemokratisch sei", sagte T‘Sjien weiter. Der liberale VDL-Vorsitzende Karel de Gucht, auch ein Flame, entgegnete dem: "Die Demokratie hat das Recht, sich zu verteidigen. Aber ich bin nicht bereit, den cordon sanitaire und ein eventuelles Verbot des Vlaams Blok zum Thema für die kommenden Wahlen zu machen. Und das ist genau, was dieser Entwurf von Bourgeois beabsichtigt."

Der flämische Sozialistenchef Patrick Janssens, der den Vlaams Blok lieber totschweigen möchte, ist auch nicht sprungbereit: "Die Demokratie soll stark genug sein, um den Blok in Wahlen zu besiegen. Dafür soll man keine Sondergesetze entwickeln." Auch die flämischen Christdemokraten der CVP meinen, daß "es genügend Mittel gibt, um diese Partei demokratisch zu bekämpfen" und nannte diesen VU-Entwurf "einen künstlichen Eingriff".

Für die francophonen Politiker stellt sich dieses Problem total anders. Erstens gibt es den Vlaams Blok nicht in ihren Wahlkreisen, zweitens stellt sich die Frage "Mit Belgien, wenn es geht, und ohne, wenn es muß" in Wallonien und Brüssel nicht. Beide würden bei der Auflösung des Königreiches in die finanzielle Selbstverantwortung gezwungen, und das ist eine problematische Sache. Die Region Wallonien – einst geprägt von Kohle und Schwerindustrie – schaffte den Umbruch zur neuen Dienstleistungsgesellschaft noch nicht. Die Brüsseler Region liegt hingegen mitten in Flandern und käme ohne die mehrsprachigen Flamen nicht aus. Andererseits brauchen die Flamen Brüssel als Fenster zur Welt. Ohne Brüssel würde Flandern – ein Gebiet von etwa 15.000 Quadratkilometern und sechs Millionen Einwohnern zur westeuropäischen Provinz. Mit Brüssel zusammen gäbe es eine französische Minderheit von etwa einer Million, also etwa 15 Prozent, quasi als das Salz in der Suppe.

Der Vlaams Blok konnte daher nur groß werden, weil es in ganz Flandern keine Partei mehr mit einem rechten Flügel gibt. Luc Van Den Brande (ehemaliger CVP-Ministerpräsident von Flandern) sieht sein Projekt "Vlaanderen-Europa 2002" für mehr Selbständigkeit stillgelegt und ausradiert von seinem liberalen VLD-Nachfolger Patrick Dewael, der wörtlich übersetzt ja "Der Wallone" heißt. Der rechtsliberale Ward Beysen aus Antwerpen wurde von der Wahlliste eliminiert und weiß, daß er beim Vlaams Blok willkommen wäre. Seit mehr als 20 Jahren greift der Vlaams Blok die Themen auf, die von den anderen Parteien in ihrer zunehmenden Weltfremdheit rechts liegen gelassen wurden: Überfremdung, Kriminalität, Familienförderung, Abtreibung, die Folgen der zunehmenden Internationalisierung und die diversen belgischen Skandale – sowie das Thema Selbständigkeit von Flandern.

Am 24. November 1991folgte dann der "Schwarze Sonntag": der Vlaams Blok gewann 10 Sitze im National-Parlament hinzu und bildete mit 12 Abgeordneten eine starke Fraktion. Seither wurde die Partei noch größer und entwickelte sich abseits aller Macht und Skandale zur reichsten Partei Flanderns – mit einer Kriegskasse von umgerechnet 10 Millionen Mark. Im Europaparlament kam es zu einer technischen Fraktion mit den deutschen Republikanern und der Front National von Le Pen. Überlebt hat es nur der Vlaams Blok.

Und noch immer wächst die Partei unter ihrem 40jährigen Chef Frank Vanhecke. Sie hat zwar vergleichsweise wenig Mitglieder, aber um so mehr Wähler, momentan etwa 600.000. Am 8. Oktober finden Kommunalwahlen statt. Nur eine Frage beschäftigt alle anderen Parteien: Wieviel Prozent schafft der Vlaams Blok?

Die drittstärkste Partei Flanderns hat Aufwind, wirkt dynamisch, appelliert an junge Wähler und könnte bei den kommenden Wahlen weiter gewinnen. In ihrer Hochburg Antwerpen schafft die Partei vielleicht die 30-Prozent-Hürde. Filip Dewinter – 37 Jahre alt und Fraktionschef im flämischen Parlament – wäre dann mit größter Wahrscheinlichkeit Bürgermeisterkandidat. Aber in Belgien wird jeder Bürgermeister vom König vereidigt: Ist es denkbar, daß der francophone Innenminister Duquesne dem belgischen König Albert II. den Separatisten Dewinter als Bürgermeister der größten flämischen Stadt vorschlägt?

Es ist dieses "Stratego für Fortgeschrittene", das Louis Michel und viele andere, vor allem francophone Politiker, fast wahnsinnig werden läßt.


 
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