© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Ausstellung: "Die Entwicklung des deutschen Symbolismus" in der Frankfurter Schirn
Die Wahrheit in der Wirklichkeit
Ellen Kositza

Es ging nicht in erster Linie um einen formalen Traditionsbruch, als sich in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ästhetische Bewegung formierte, der man heute den Namen "Symbolismus" als epochale Kategorie zuweist. Auslöser der sezessionistischen Hinwendung zum Symbolischen war die Verweigerung der Forderungen des Naturalismus mit seiner gelehrten Betonung des Häßlichen und des irdischen Elends sowie die Abscheu vor dem betulichen Impressionismus des Bürgertums.

Ohne sozialrevolutionären Anspruch, aber mit dem Pathos übervoller Seelen wollen die Symbolisten die blutleere, bequeme bürgerliche Welt als irdische Hölle entlarven.

Das populärste Bild jener Zeit dürfte Arnold Böcklins "Toteninsel" sein, eine mystisch-sakrale Landschaft von Wasser umgeben, wie sie nur im Traum zu erschaffen sein dürfte. Den Vorzug der Kunst und des Traums gegenüber der Realität beschrieb André Gide 1891: Einbildung und Traum "lassen die ideale Wahrheit am besten hervortreten, die hinter der Erscheinung der Dinge verborgen ist. Damit sie niemals untätig erschlaffe, muß man die Seele mit Begeisterung erfüllen". So entstehen jenseits des äußeren Scheins und über der objektiven "Wirklichkeit" Wahrheiten, die sich symbolisch manifestieren.

Der bereits begonnen Moderne stellen sich die Symbolisten nicht, indem sie fragwürdig gewordene Gewißheiten hypothetisch, also mittels des Abstrakten zu fassen suchten – die Künstler, denen freilich die Kunde vom Tod Gottes in den Ohren hallte, erschaffen das Gegenständliche neu, aller Glaube und alle Wirklichkeit entsteht neu in einem Symbol, in einem Götzen. Nichts soll zerfließen in unbestimmbare Beliebigkeit, der Zerrissenheit setzte man anstelle der Hypothese etwas Kategorisches entgegen.

Franz von Stuck erschafft solches in seinen monumentalen Gemälden: Christliche Motive erscheinen hier in der Fassade erhabenen Griechentums, und mächtig trifft einen der glühende Blick Luzifers. Luzifer, der Engel, der alles geschaut hat und ohne Illusionen ist, ist wie Prometheus eine der Gestalten, in denen Lust und Leiden, Liebe und Verlust bildlich werden. Kunst ist hier elementar, kein Schweißtuch für Stimmungen des Bürgers.

"Gestade der Vergessenheit" nannte Eugen Bracht sein gewaltiges Gemälde; sanft branden Wellen des Meeres an einen Strand, aus dem mächtiges Gestein ragt, einschneidend kalte, düstere Farben bestimmen das Bild, Gebeine im Sand lassen schreckliches Unheil erahnen, nur die Gipfel der Felsen stoßen in ein unendlich helles, unwirkliches Licht. Bilder wie dieses wühlen sich ein: Apotheose des Verlorenseins, des Umsonst auf der einen Seite, nie gekannter Erfüllung andererseits; letztlich das Finden eines Ewigen durch Schnittpunkte von Vergangenem und Zukünftigem. Die Suche nach solcher Wahrheit kommt mitunter einer Flucht vor der Wirklichkeit gleich: Kunst als Gegenkraft zur Faktizität der Geschichte, Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen.

Selbstverständlich entspricht es den Gepflogenheiten, die Frage zu äußern, inwieweit der Umgang mit Symbolen und allem, was sie umgibt – Pathos, Mythos, Totalität – nicht politisch brisant sei. Der Weg von Arkadien nach Dachau wird im Geleitwort des Ausstellungskatalogs zwar verworfen – doch immerhin als Gefahr kenntlich gemacht. Und genau hier offenbart sich der große Irrtum im Umgang mit den Symbolisten: Das Gegenständliche legt es nahe, das Gemeinte begrifflich zu fassen, es intellektuell deuten und aufschlüsseln zu können. Gemäß nietzscheanischer Diktion jedoch – Nietzsche fungierte immerhin als Übervater auch der Symbolisten – ist Begrifflichkeit ein Vorgang des Vergessens ursprünglicher Bilder; jeder Begriff entstehe durch Gleichsetzung von Nichtgleichem. Die Künstler hier dagegen, Max Klinger voran, legen geheime Spuren, bedeuten Verborgenes.

In welchem Maße sich solche Kunst intellektueller, visionsloser Beredsamkeit entzieht, zeigt sich etwa, wenn verschiedene Autoren des – im übrigen ausgezeichneten – Ausstellungskatalogs in Nebensätzen ein und dasselbe Bild diskutieren, jeder der Kunstkritiker ihm aber eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung unterstellt. Der große Stil des symbolistischen Künstlers besteht nicht in der Verwendung eines dechiffrierbaren Codes, sondern in Selbsterschaffung und völliger Neubestimmung.

Die hier versammelten Lichtgebete, Begegnungen, Todesahnungen sind Zustände äußerster Befreiung und Steigerung, als gigantisches Wetterleuchten strahlt in der Notwendigkeit des Symbols, des Bildes, ein Gedanke, ein Gefühl, eine Wahrheit hervor.

Daß es dabei vereinzelt zu Überzeichnungen kommt, die unangenehm berühren und an Klischees gemahnen, etwa in Ludwig von Hoffmanns zahlreichen märzlichternen Bildern am Rande des Kitsch, läßt sich nicht vermeiden.

60 Künstler sind unter den 200 Bildern und Skulpturen vertreten, kein Gustav Klimt zwar, aber Ernst Barlach und Käthe Kollwitz. Daß mehr als ein Viertel der prallen Ausstellung allein von Böcklin, Klinger und von Stuck bestritten wird, gereicht ihr nicht zum Nachteil.

Die Ausstellung "SeelenReich. Die Entwicklung des deutschen Symbolismus 1870–1920" ist bis zum 30. April 2000 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, zu sehen. Der Ausstellungskatalog kostet 58 DM.


 
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