© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Siegmar Faust: Der Provokateur. Ein politischer Roman
Leben zwischen den Fronten
Jörg Bernhard Bilke

Von Siegmar Faust, dem in Sachsen verfolgten Schriftsteller, hörte ich Schreckliches im Sommer 1976: Er sei, so wurde berichtet, im "Tigerkäfig" des Zuchthauses Cottbus von einem Offizier der "Volkspolizei" zu Tode geprügelt worden. Als wir uns dann am 17. November 1976, einen Tag nach Wolf Biermanns Ausbürgerung, in Berlin kennenlernten, verstanden wir uns auf Anhieb. Wenige Wochen später besuchte er micht in der Lüneburger Ost-Akademie und sprach mir seine Lebensgeschichte auf Band.

Im Jahr 1944 in Heidenau bei Dresden geboren, hatte er nach dem Abitur 1964 den SED-Staat von seiner schlimmsten Seite erlebt. In der sozialistischen Landwirtschaft und als Kellner hatte er gearbeitet, von der Leipziger Universität war er im Sommer 1966 wegen "Disziplinlosigkeit und politischer Unzuverlässigkeit" exmatrikuliert worden. In Leipzig als Motorbootfahrer hatte ihn die "Staatssicherheit" anwerben sollen als "inoffiziellen Mitarbeiter", was ihm der Dichterfreund Volker Braun heftigst ausgeredet hatte. Als Machtpförtner 1971 in der "Deutschen Bücherei" hatte er stapelweise verbotene Westliteratur durchstöbern können. Dann wurde er verhaftet, noch aus der Untersuchungshaft nach einem Jahr freigelassen und als Fahrstuhlführer in die Heidenauer Papierfabrik eingewiesen, wo er miterlebte, wie aus Westpaketen beschlagnahmte Westliteratur zu Wellpappe verarbeitet wurde. Die zweite Verhaftung erfolgte 1971 mit anschließender Verurteilung zu viereinhalb Jahren Zuchthaus wegen "staatsfeindlicher Hetze". In Cottbus geriet er dann wegen "psychologischer Kriegsvorbereitung" in Einzelhaft, auf Fürsprache Robert Havemanns bei Erich Honecker wurde er 1976 entlassen und am 1. September nach Westdeutschland ausgewiesen.

Ein aufregendes und gefährliches Leben, das ein Schriftsteller aber braucht, um seine Romane schreiben zu können. Aber den großen Roman, der von ihm erwartet wurde, schrieb Siegmar Faust nicht. Er zog zwei Jahrzehnte als Vortragsredner durchs Land, um überhaupt existieren zu können, und klärte seine unwissenden Zuhörer über die schlimmen Zustände im SED-Staat auf. Jetzt, im Alter von 55 Jahren, hat er seinen Lebensroman in München veröffentlicht, und man staunt über diese neue Stimme im gewaltigen Chor der DDR-Geschädigten.

Siegmar Faust erzählt sein Leben in der dritten Person, sein Held, der von Flensburg bis Altötting mit Vorträgen unterwegs ist, heißt Bob Kayenberg. Mit diesem literarischen Kunstgriff der Distanzierung kann der Verfasser, der heute mit seiner vierten Frau in einem mainfränkischen Dorf bei Würzburg lebt, offener und ehrlicher, sozusagen objektiver über die drei Jahre 1990/92 schreiben. In die Schilderung seiner gescheiterten Liebes- und Ehebeziehungen, beispielsweise mit Karin Gueffroy, der Mutter des letzten Mauertoten 1989, sind seine politischen Westerfahrungen, die niederdrückend gewesen sein müssen, eingeflochten. Glanzstück darin ist die kühl beschriebene Begegnung mit Staatssekretär Günter Gaus, dem Entspannungseuphoriker und "norddeutschen Herrenreiter im SPD-Look", der ihm vorwarf, die innerdeutschen Beziehungen zu stören und ihm empfahl, den "Augsburger Religionsfrieden" von 1555 auch auf den SED-Staat anzuwenden. Die merkwürdige Rolle dieses DDR-Sympathisanten im innerdeutschen Dialog ist bis heute nicht aufgearbeitet!

Besonders ergiebig aber wird das Buch durch die Schilderungen politisch Verfolgter wie der Josef Kneifels, der in Chemnitz einen Sowjetpanzer in die Luft sprengen wollte und dafür lebenslange Zuchthaushaft zudiktiert bekam, und durch den Abdruck zeithistorischer Texte, die sonst unbekannt blieben, beispielsweise der Brief des schon 1976 verfolgten Robert Havemann an seinen Brandenburger Haftkameraden (vor 1945) Erich Honecker mit der Bitte, den im Keller des Zuchthauses Cottbus einsitzenden Siegmar Faust zu begnadigen.

Und dann ist dieses Buch auch noch eine unerschöpfliche Fundgrube zur oppositionellen DDR-Literatur nach 1976. Hier zeigt der Autor am Fall seines berühmten Schriftstellerfreundes Wolfgang Hilbig, was er zu leisten vermag. Daß der Roman in der früheren SED-Druckerei Karl-Marx-Werk in Pößneck hergestellt wurde, erhöht noch seinen Reiz!

 

Siegmar Faust: Der Provokateur. Ein politischer Roman, Herbig-Verlag, München 1999, 400 Seiten, 44,90 Mark


 
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