© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Volk als Risiko
von Hans-Helmuth Knütter

Die Hetze der EU-Meinungsmacher gegen Österreich ist eine Warnung für uns alle: Sie richtet sich nämlich nicht gegen die ÖVP/FPÖ-Regierung, sondern gegen das Wahlvolk. Die Etablierten giften und schäumen und sitzen doch hilflos in der selbstgebauten Falle: Sie haben – als bekennende Demokraten – das Volk wählen lassen, und prompt ging‘s schief: Der Souverän hat nicht gewollt wie er gesollt hat – nach dem Wunsch und Willen seiner Vormünder. Was tun? Am liebsten würde man das Wählen abschaffen. Oder vielleicht könnte man sich die DDR zum Vorbild nehmen: Eine Einheitsliste, der man öffentlich akklamieren darf. Die Mandatsverteilung zugunsten des Establishment steht von vornherein fest. Alles denkbar, aber im Augenblick noch nicht wahrscheinlich. Wirklich nicht? Haben doch neulich in der FAZ der nicht unbekannte Historiker Emanuel Todd und ein weniger bekannter Paolo Flores D‘Arcais allen Ernstes die Ansicht geäußert, wegen der deutschen Geschichte dürfe man solche Parteien wie die FPÖ nicht an die Regierung lassen, welche Mehrheit auch immer sie stütze. Also: statt Mehrheit entscheidet die Wahrheit, und die wird von selbsternannten, also nicht demokratisch legitimierten "Antifaschisten" bestimmt. Vorerst ist dies noch eine Minderheitenmeinung, die wir aber als Warnung aufmerksam zur Kenntnis nehmen sollten. Vorerst aber herrscht beim Establishment und seinen Soldschreibern ratlose Konfusion. Viele stellen sich bereits opportunistisch auf die neue Lage ein.

Eine historische Legende überliefert, daß Napoleon, 1815 von Elba kommend, in Südfrankreich gelandet, von der bourbonisch restaurieren Presse als "das Ungeheuer" bezeichnet wurde. Mit dem Erfolg wuchs die Hochachtung. Schließlich hieß es "Seine Majestät haben Paris erreicht." Ein schönes Zeichen für die charakterliche Flexibilität der Journaille.

Der wahre Grund für die Aufregung: Das alte, erstarrte, verbonzte Parteiensystem wandelt sich. Neue Kräfte erscheinen und setzen sich durch. Die Gefahr besteht nicht für Staat und Gesellschaft, sondern für das Postenmonopol des etablierten Bonzentums. Das erklärt deren Geschrei und das ihrer Nutznießer in Medien und Kultureinrichtungen. Erstaunlich ist es nicht, denn anderes war nicht zu erwarten. Neu auch nicht, denn bei allen bisherigen Systemwandlungen haben sich die selbsternannten Volkspädagogen nicht anders verhalten. Deshalb: Immer feste den Spiegel vorhalten und die Charakterhelden mit ihren Worten von gestern konfrontieren. Die lernen zwar nichts, aber in den Augen der Bevölkerung werden sie delegitimiert. Darauf kommt es an. Das ist das vorläufige Ziel.

 

Prof. Dr. Hans-Helmut Knütter lehrt Politikwissenschaften an  der Universität Bonn.


 
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