© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Schweiz: Christoph Blocher kämpft weiter gegen das Berner Machtkartell
Die Zauberformel knacken
Philip Plickert

Christoph Blocher, der erfolgsverwöhnte rechte Populist und schwerreiche Industrielle von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), hat seine innerparteilichen Gegner zwar endgültig an die Wand gedrängt, ist mit seinem Vorhaben einer Reform des politischen Systems der Schweiz zunächst jedoch gescheitert.

Bei einer Volksabstimmung am vergangenen Wochenende stimmten nur 30 Prozent der Schweizer für die vom Gründer der Supermarktkette Denner, Karl Schweri, eingereichte sogenannte "Beschleunigungsinitiative". Die Initiative wollte eine raschere Abwicklung der Volksbegehren erzwingen, spätestens ein Jahr nach Einreichen der notwendigen 100.000 Unterschriften.

Manche eher "rechte" Volksbegehren wurden in der Tat über Jahre verschleppt: Bis zur Abstimmung von "Jugend ohne Drogen" dauerte es vier Jahre, die "Fortpflanzungsinitiative" ruhte über sechs Jahre in der Berner Verwaltung, "Wohneigentum für alle" brachte es auf fünfeinhalb Jahre. Andererseits können auch gigantische Aktenberge innerhalb kürzester Zeit bearbeitet werden, wenn sie der Regierung genehm sind: Die sieben umfangreichen bilateralen Abkommen mit der EU wurden innerhalb eines Jahres durch das Parlament geprügelt.

Der EU-Beitritt der Schweiz, erklärtes langfristiges Ziel des Bundesrates (Regierung), soll bloß nicht durch ein negatives Volksvotum gefährdet werden. Darin sieht SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer den Grund, weshalb die pro-EU-Initiative "Ja zu Europa" zurückgehalten wird, da das Wahlvolk zur Zeit alles andere als Brüssel-freundlich eingestellt ist. Trotz der Niederlage baut Blocher seiner Einfluß beständig aus. Bei den Parlamentswahlen Ende Oktober vergangenen Jahres – drei Wochen nach dem "Haider-Schock" – erschütterte ein politisches Erdbeben die Eidgenossenschaft: Die SVP gewann über 7 Prozentpunkte hinzu und schob sich in der Wählergunst vom vierten auf den ersten Platz noch vor die Sozialisten (SPS). Angesichts dieser Konstellation schien die sogenannte Zauberformel "2-2-2-1" unhaltbar. Damit ist jener starre Koalitionsproporz gemeint, welcher den Altparteien FDP, CVP, SPS unabhängig vom Wahlausgang je zwei Regierungsposten reserviert, der SVP nur einen. Zuletzt wurde die Sitzverteilung im Jahr 1959 angepaßt, als erstmals den Sozialisten zwei Sitze im Bundesrat zugestanden wurden.

Seitdem sind die Verhältnisse zementiert. Die SVP ist trotz ihres ständig wachsenden Wähleranteils mit nur einem einzigen Ministerposten eindeutig unterrepräsentiert. Und zu allem Überfluß widerspricht dieser Minister, Adolf Ogi, zuständig für Verteidigung, in zentralen Punkten systematisch seiner eigenen Partei: Beständig lobt Ogi, der derzeit turnusmäßig auch Bundespräsident ist, den politischen Gegner und fällt dem faktischen Parteichef Blocher – einen einzigen Parteivorsitzenden wie in beispielsweise in Deutschland gibt es nicht – und dessen Zürcher SVP-Sektion in den Rücken. Als notorischer Heiner Geißler der SVP zerredet er das eigene Parteiprogramm, liebäugelt mit einem baldigen EU-Beitritt der Schweiz und der Aufgabe der Neutralität – absolute Horrorvisisionen für die rechtskonservative Parteibasis. Blochers Kandidatur im Dezember vergangenen Jahres um einen zweiten Ministerposten, der durch den Wählerauftrag durchaus gerechtfertigt wäre, wurde im Parlament abgeschmettert.

Seitdem ist das Verhältnis von Blocher zu Ogi immer eisiger geworden. Der eine, vom Volk geliebt, bei der Presse jedoch nicht gut gelitten, der andere, in der Partei kaum verankert, jedoch von der liberalen Presse hofiert. Diese hält ihn sich als verläßlichen Kritiker der SVP, als "aufgeklärte Insel" inmitten des "nationalistischen Brackwassers" der Blocher-hörigen Basis.

Ogi und seine wenigen Parteifreunde erlebten nun Anfang März bei einem Sonderparteitag in Altdorf, Kanton Uri, ihr Waterloo: Künftig stellt die dem linken Flügel angehörende Berner Sektion, nach Zürich die größte, nur mehr zwei von 25 Mitgliedern im Leitenden Ausschuß der Partei! Trotz dieser schallenden Ohrfeige denkt Ogi nicht an Parteiaustritt, der ihm immer deutlich nahegelegt wird. Als Einzelkämpfer für die gute Sache arbeitet er leise aber wirkungsvoll weiter an einer "Integration" der Schweiz in die EU.

Nach den EU-Sanktionen gegen Österreich geraten die EU-Befürworter jedoch in Erklärungsnot. EU-Gegner Schlüer schreibt in der Schweizerzeit: "Die Sanktionsmaschinerie wird zum Selbstläufer. Weil man Österreich vorwirft, eine ‘antieuropäische’ – weil zuweilen die EU kritisierende – Partei in den Sattel gehoben zu haben, nimmt das Inquisitionsverfahren seinen Lauf. Wie zu der Zeit, da Kreml-Boss Leonid Breschnew seine sozialistischen Brüder mittels Breschnew-Doktrin disziplinierte. Recht bleibt auf der Strecke, Willkür dominiert: Wer sich Brüssel nicht vorbehaltlos unterwirft, wird zum Anti-Demokraten gestempelt. Als Breschnew gegen seine sozialistischen Brüder vorging, nannte der Westen sein Vorgehen ‘totalitär’." Damit trifft er die öffentliche Meinung in der Alpenrepublik recht genau. Auch wenn das Berner Parteienkartell einen Teilsieg über Blocher errungen hat – die NZZ schreibt, es war "kein Sonntag für Scharfmacher" –, das letzte Wort in der Schweiz ist noch längst nicht gesprochen.


 
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