© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Drei politische Zeitzeugen über den 18. März 1990

Die JUNGE FREIHEIT befragte drei Thüringer zu ihren Erinnerungen.

Wo waren Sie vor zehn Jahren, und was dachten Sie damals?

Grund: Am 18. März 1990 war ich Wahlvorstand in meiner Heimatstadt Heiligenstadt. Während wir mit dem Auszählen beschäftigt waren, erreichten mich die ersten Hochrechnungen mit dereindeutigen Tendenz für die "Allianz für Deutschland". Ich war völig überrascht, denn alle Umfragen signalisierten einen "Durschmarsch" für die SPD. Deren Ost-Vorsitzender Ibrahim Böhme hatte sich in Moskau schon als neuer Ministerpräsident feiern lassen. Also, ich war überrascht und überglücklich, sah aber auch mit Sorge die Riesenlast, die nun von der CDU zu schultern war.

Latussek: Ich war Landesvorsitzender der DSU in Thüringen. Das Ergebnis wurde von mir differenziert gesehen. Früher habe ich mich über den Sieg der Allianz gefreut. Die Stimmenaufteilung innerhalb der Allianz war für mich unbefriedigend, trotzdem das Ergebnis war für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Ich wurde damals auch in die erste freigewählte Volkskammer gewählt.

Mayer: Nach unserer Ausweisung aus der DDR lebte ich seit einem Jahr mit meiner Familie in Cochem an der Mosel, bekleidete eine halbe Stelle als Lehrer und schrieb Artikel für die Rhein-Zeitung Koblenz. Nach erscheinen meines ersten Buches "Dänen von Sinnen" ging es mir mental wieder besser Das Wahlergebnis war für mich keine Überraschung; die sechs Buchstaben SOZIAL in den Parteinamen der Linken reichten den meisten DDR-Bewohnern aus, diese nicht mehr zu wählen. Und wäre DA-Chef Wolgang Schnur, der uns Botschaftsbesetzer 1988 "verteidigt" hatte, nicht als Stasi-IM geoutet worden, hätte es eine noch deutlichere Schlappe für die Linke gegeben.

Wie kamen Sie in die Politik?

Grund: Ich war bis 1990 nicht unpolitisch, aber parteilos. 1989 gehörte ich in meiner Heimatstadt zu den Gründern einer Bürgerinitiative. Ende 1989 war mir klar, daß es zur schnellen deutschen Einheit keine Alternative gab. Dies mußte für Mitteldeutschland bedeuten, daß sich die politische Macht, die kurzzeitig auf der Straße lag, in Parlamente und demokratische Parteien verlagern mußte. So bin ich im Januar 1990 in die CDU eingetreten.

Latussek: Ich konnte eine Politik, die die Landsleute im Westen als Feinde abstempelte, nie mittragen und war in der DDR parteilos. 1989 ging ich zum Neuen Forum, war Mitbegründer der Forumpartei, die in der DSU aufgegangen ist. Seit 1992 bin ich Mitglied des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen und des Landesbeirates der ostdeutschen Kulturstiftung. Die Wirkung der Mitteldeutschen in Gesamtdeutschland zu verstärken, ist sicherlich ein Anliegen, das auch mir am Herzen liegt. Wir brauchen neue Dienststrukturen in der Politik und die können von hier kommen.

Mayer: Politik interessiert mich seit 1968, nicht nur wegen dem "Prager Frühling". Seltsam ist, daß ich mich immer auf der Seite von Minderheiten wiederfand und -finde. Nach Thüringen zurückgekehrt, trieb es mich aus der CDU, deren aus "Altlasten" bestehende Personalstruktur ich als Katastophe empfand.

 

Manfred Grund, heute CDU-Bundestagsabgeordneter, stellvertretender Fraktionsgeschäftsführer. Paul Latussek, heute BdV-Chef in Thüringen. Wolfgang Mayer, Ex-CDU und heute Lehrer.


 
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