© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Kino: Joseph Vilsmaier demontiert mit seinem Film "Marlene" einen Mythos
Lieber berühmt als glücklich
Ellen Kositza

Dutzende Marlene-Dietrich-Biographien seien verschlungen worden, 18 Millionen Mark haben die Produzenten investiert, als i-Tüpfelchen läuft dann Hauptdarstellerin Katja Flint halbnackt durch den Spätwinter – und doch wurde die Uraufführung von Joseph Vilsmaiers "Marlene"-Film vergangene Woche mit nur lauem Applaus gewürdigt, und die Kulturseiten der Zeitungen tun es der Berliner Prominenz gleich.

Peinlich sei der Film, schwach die Flint, Vilsmaier ein mäßiger Handwerker, ein Künstler keineswegs. Hallte der Dietrich 1960 bei ihrer Auftrittsreise durch Deutschland noch ein unmißverständliches "Marlene go home!" entgegen, so scheint sie, acht Jahre nach ihrem einsamen Tod, ein sakrosanktes Pop-Idol geworden zu sein, "unsere Marlene" eben – wobei wohl jeder Film als ungehöriges Abbild, als Frevel bewertet würde.

Bei der taz wurde man gar richtig stinkig, eine "ideologische Unverschämtheit" sei der Streifen, ein weiteres von Vilsmaiers "hemdsärmelig-revisionistischen" Kinoprojekten. Aus Marlene Dietrich, der "holdseligen Aphrodite" – so die erbitterte Klage der taz-Kinogängerin –, habe Vilsmaier einen eingedeutschten Metamythos gemacht: Keine Würdigung ihrer Aura, ihres speziellen Eros und natürlich ihres dezidierten Antifaschismus liefere der Regisseur, statt dessen die Setzung des Mythos Marlene als Sinnbild für eine ganz bestimmte Zeiterscheinung. Das nervt natürlich die Marlene-Fans, die aus der Dietrich eine politisch, weltanschaulich und emanzipatorisch schillernde Ikone fabrizierten. Marlene sei der kosmopolitische Weltstar, so bescheidet man sich letztlich in der linksliberalen Kulturkritik, und Vilsmaiers Film eben kleingeistige deutsche Rache.

Zu Beginn seiner Arbeit an diesem Film äußerte Vilsmaier einmal, ihn reize das spezifisch Deutsche am "Thema" Marlene – möglicherweise erklärt dies bereits die Gekränktheit des Feuilletons. So ein Hang zu deutschen Mythen ist eben nicht geheuer, erst der Erfolg mit "Herbstmilch", einem Heimatfilm, wie er im Buche steht, dann "Stalingrad", und immer wieder die dreißiger Jahre als Fokus.

Hier ist es das mondäne Nachtleben im Berlin der Weimarer Zeit, Marlene, wie sie frivol und im völligen Bewußtsein der Provokation das Genderswitching des postmodernen Feminismus vorwegnimmt, großmäulig, machohaft, Frauen knutschend, männerverschlingend. Sie ist eine völlig unbekannte Schauspielerin, als sie 1929 bei Josef von Sternberg für den "Blauen Engel" vorspricht, den Film, der dann ihre grandiose Karriere anbahnt. Über Nacht kennt man nun die Dietrich, dieses neuentworfene Frauenbild zwischen kaltlächelndem Vamp und sich feilbietender Hure, losgelöst und unfaßbar.

Es ist nicht der Typ Frau, dem das Deutschland der nahen Zukunft eine Heimat bieten wird, also folgt die Dietrich Regisseur von Sternberg in die USA, läßt Mann (Herbert Knaup) und Tochter samt Kindermädchen in Berlin zurück. Weiter geht’s im Zeitraffer: das Luxusleben der Dietrich, ihre Männer, ihre Drogen, ihre Erfolge, ihre Flops und über allem ihre innere Verlassenheit.

Im Film tut die Dietrich so, als sei diese Einsamkeit eine Konsequenz ihrer preußischen Seele, die sie immer wieder erwähnt, wie um auf ein Schicksal zu verweisen, dem man nicht entgehen kann, obwohl man es so dringend wünschte. Dabei war ihre Einsamkeit letztlich selbstgewählt: So darf auch der berühmte Schlüsselsatz der Diva nicht fehlen, die Antwort, die sie, von Heimweh zerfressen, ihrem Regisseur gab, als der sie fragte, was sie sein möchte: glücklich oder berühmt? Natürlich berühmt.

Die Dietrich erscheint als kalter Mensch ohne Leidenschaft, als getriebene Nymphomanin bar jeder wirklichen Wollust. Und so ist es in der Tat mehr die Demontage als eine Würdigung dieser Ausnahmefrau, die der 61jährige Vilsmaier liefert und die Kulturschickeria damit ein wenig ärgert.

Der Vorwurf nun, daß Vilsmaier mit seiner Katja-Marlene die wahre Dietrich nicht zu greifen vermag, ist aus zweifacher Sicht gerechtfertigt, einmal wegen seines formalen Schwankens zwischen linearer Biographie und flächigerem Drama, zum anderen, weil Marlene Dietrich dem Zuschauer immer fremd bleibt. In der Tat verliert Vilsmaiers Beschäftigung mit der Dietrich nie eine gewisse Distanz, stets bleibt sie entrückt, und abgründig scheint dahinter die Frage zu lauern: Was, wenn hinter der eitlen, selbstsüchtigen Fassade dieser Frau, die vorgab, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt zu sein, tatsächlich ein hohles Nichts klaffen sollte?

Dabei wird diese Option gar nicht wirklich in den Raum gestellt, denn wie bei der Verfilmung der Karriere der "Comedian Harmonists", seinem letzten großen Erfolg, erfindet Vilsmaier auch hier eine Liebesgeschichte hinzu. Als "grotesk" oder "kitschig" verrissen die Kritiken diese fiktive Figur des deutschen Offiziers Carl Seidlitz, der hier Marlenes wahre, unerfüllte Liebe darstellen soll. Dieser Carl, eine Zufallsbekanntschaft zunächst (ganz hervorragend gespielt von Heino Ferch), nennt die Dietrich bei ihrem eigentlichen Namen, Maria Magdalena, er ist der eine, der sie von Grund auf zu kennen, zu verstehen und zu lieben vermag. Carl steht für die Summe der Liebhaber, für die Sehnsucht der Marlene Dietrich.

Das ist zum einen natürlich reichlich abgeschmackt, zum anderen ist es Vilsmaiers Antwort auf die Frage, die wirklich bleibt, wenn man Dietrichs Lieblingsthema, die Liebe, hinterfragt.

Ein weiteres Augenmerk richtet der Film auf Marlene Dietrich als Familienmutter, er tut dies in einem sehr kalten Licht, ohne explizit moralische Kritik zu üben. Sogar als Ehefrau – treulos bis zur Unsäglichkeit – und als Mutter einer bedauernswerten Tochter, jeglicher Mütterlichkeit abhold, inszeniert die Dietrich sich hier permanent als absolutes Kunstprodukt, als Frau, die stets nur um sich selbst kreist.

Und Katja Flint – glückt das Wagnis der Kopie? Flint ist die Dietrich, meint man mehr als einmal. Wie die 39jährige die Diva von den Anfängen ihrer Berühmtheit als Endzwanzigerin bis zu ihrem letzten Auftritt in New York Mitte der siebziger Jahre darstellt, ist bemerkenswert, von den holprig wirkenden berlinernden Ausdrücken aus dem Mund der Hannoveranerin Flint einmal abgesehen. Daneben glänzt der Film mit einer Starriege, Susanne von Borsody, Heiner Lauterbach, Armin Rohde und Otto Sander spielen mit, Möchtegern-Revoluzzer Ben Becker gibt einmal mehr den fischköpfigen Nazi.

Die Politik läßt Vilsmaier zwar keineswegs außen vor, er bemißt ihr eben den Stellenwert, den sie vermutlich im Leben der Diva einnahm. Natürlich war sie keine Sympathisantin der Nationalsozialisten, doch geschieht diese Ablehnung aus einem Affekt heraus, nicht aus Vaterlandsliebe, politischem Verständnis oder moralischem Handeln. Die Dietrich verläßt Deutschland letztlich aus karrieristischer Klugheit heraus – nicht als Widerständlerin.

Vielsagend ist die Darstellung eines der berühmten Frontbesuche der Dietrich. Nachdem sie Bilder vom Vormarsch der Alliierten, von angloamerikanischen Bombenabwürfen und Granateinschlägen mit einem "endlich" aus den Tiefen ihres Herzens quittiert hat, beschließt der Star, etwas zu tun "für unsere GIs". Und so schmettert die Dietrich, amerikanische Staatsbürgerin seit 1939, in kessem Glitzerkleidchen vor einer johlenden Soldatenmenge in noch umkämpftem Gebiet ihre banalen Lieder und läßt sich feiern von den amerikanischen Soldaten, die Vilsmaier als viehisch gröhlende Masse zeigt. Von tragischer Würdelosigkeit sowohl die Sängerin als auch ihr Publikum – die Sieger, zu denen sie immer zählen wollte.


 
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