© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Kolumne
Absurdes
von Klaus Motschmann

Vergleiche bzw. Gleichsetzungen zwischen dem nationalsozialistischen und den realsozialistischen Herrschaftssystemen werden bekanntlich als schwerer Verstoß gegen die inzwischen ehernen Grundsätze unserer sogenannten politischen Kultur geahndet. Einmal deshalb, weil der Sozialismus im Unterschied zum Nationalsozialismus vermeintlich humane Ziele anstrebe; zum anderen, weil die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen jeden Vergleich mit den Verbrechern anderer Systeme verbiete, es sei denn, man beabsichtige eine Relativierung und Verharmlosung des nationalsozialistischen Unrechts.

Selbst ein "Mann von dem Format Josef Stalins", so der berühmte Theologe Karl Barth in einer programmatischen Rede im Jahre 1949 wie viele andere Intellektuelle mit ihm, dürfe auf gar keinen Fall "mit einem Scharlatan wie Hitler im gleichen Atem" genannt werden, so sehr man sich auch über dessen "blutige Hände" mit Recht empören mag. Es sind gewissermaßen, um im Bilde zu bleiben, die blutigen Hände eines Geburtshelfers und nicht die eines Mörders.

Ganz so radikal wird inzwischen nicht mehr agitiert, was aber auch nicht erforderlich ist. Das Dogma von der Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit der Unterscheidung von nationalsozialitischem und realsozialistischem Unrecht wird durchgängig peinlich genau beachtet – aber eben nur in diesem Zusammenhang. In anderen Zusammenhängen wird dieser Grundsatz keineswegs beachtet. Mehr noch: Zur Veranschaulichung der tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahren nicht-sozialistischer (oder gar anti-sozialistischer) Politik gehören Vergleiche und Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus zu den wesentlichen Elementen sozialistischer Bewußtseinsbildung und -kontrolle.

Die aktuellen Beispiele liefert die Medienkampagne gegen Österreich – allerdings auch, und darauf kommt es an!, die absurden Konsequenzen dieser Denkart. So darf zum Beispiel zur Vermeidung politischer Relativierungen Stalin nicht "in einem Atem" mit Hitler genannt werden, Haider sehr wohl. Nennenswerter Widerspruch gegen die Absurditäten dieser Agitation regt sich immer weniger; Bekundungen gläubiger Hinnahme hingegen mehren sich. Man fühlt sich an das bekannte Wort des Kirchenvaters Tertullian (145–220) erinnert: "Credo, quia absurdum" – "Ich glaube es, weil es widersinnig ist." Was immer auch sonst noch die Absicht dieser neuerlichen Kampagne sein mag: auf jeden Fall dient sie der Feststellung, in welchem Maße sie blind-links beachtet und befolgt wird.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an  der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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