© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Wehrpflicht: Interview mit Oberst Ulrich Hammel
Die Salamitaktik
Jörg Fischer

Herr Hammel, das Konzept "Sicherheit 2010 - Die Zukunft der Bundeswehr" wurde kürzlich von der designierten CDU-Vorsitzenden Angela Merkel in Berlin vorgestellt. Hat die rot-grüne Wehrpolitik Verbesserungsbedarf?

Hammel: Ja. Sie ist in sich widersprüchlich, weil die gegenwärtige Regierung einer Aufgabenerweiterung der Nato – die natürlich Konsequenzen für die Aufgabenstellung der Bundeswehr nach sich zieht – zustimmte. Andererseits wurden aber Wehretatkürzungen vorgenommen, die dem wiedersprechen. Dieser Kurs wurde bereits von der Vorgängerregierung eingeleitet. Ex-Bundesminister Rühe hat Denkverbote auferlegt und Entscheidungen vor sich her geschoben, weil er sie politisch für riskant gehalten hat, beispielsweise die Frage der Standortverringerung, die natürlich mit einer Umfangsverringerung zwangsläufig sind.

Die Union meint, eine Verkleinerung der Bundeswehr von jetzt 330.000 auf unter 300.000 Mann sei unrealistisch. Stimmen Sie dem zu?

Hammel: Bevor über die Umfänge der Bundeswehr gesprochen wird, müssen die Aufgabenfelder definiert werden, die wir ausfüllen wollen. Dazu gehört auch die Frage nach dem Selbstverständnis Deutschlands, nach der politischen Rolle, die es spielen will. Dies hängt auch von der Definition "eigene Interessen" ab, die notfalls mit militärischen Mitteln sichergestellt werden sollen.

Nach Unionsmeinung würden 100.000 Soldaten für die Krisenreaktionskräfte gebraucht. Ist das realistisch?

Hammel: Tatsache ist, daß der Umfang sofort einsetzbarer Kräfte – die muß man nicht unbedingt Krisenreaktionskräfte nennen – erhöht werden muß, weil künftig durch die Lage Deutschlands im Bündnis Landesverteidigung ja auch bereits auf dem Territorium der Bündnispartner beginnt. Und hier brauche ich auch einsatzbereite Kräfte dazu, mehr als die 50.000 Mann, die bisher vorgesehen sind.

Der wehrpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Paul Breuer, forderte eine Technologieoffensive, denn noch sei es eine "Investitionslücke", die schnell zu einer "Kompetenzlücke" werden kann. Hat er recht?

Hammel: Breuer redet das Problem schön. Bereits die Kompetenzlücke ist gegeben. An ihrem Entstehen hat die Union mitgewirkt, indem notwendige Investitionen immer weiter über den Planungshorizont weggeschoben wurden. Auch die Union hat den Verteidigungshaushalt gekürzt. Wer will von ihr ernstlich erwarten, daß sie nun bereit ist, ihn zu erhöhen? Fest steht, daß die Bundeswehr unter einem Investitionsstau leidet. Eine unvermeidbare Umstrukturierung, die ist schon ohne Umfangsreduzierungen ohnehin unvermeidlich, kostet zunächst mehr Geld als weniger. Erst im Laufe der Zeit wird ein Einsparungseffekt eintreten.

An der Wehrpflicht will die Union festhalten. doch der Wehrdienst soll nur noch neun statt heute zehn Monate dauern. Die freiwillige Verlängerung auf bis zu 23 Monate sei möglich. Sind die Aufgaben mit Wehrpflichtigen zu erfüllen?

Hammel: Bereits mit 10 Monaten kann ein Soldat nicht mehr angemessen ausgebildet werden. Dabei ist auch eine Ausbildungsökonomie nicht mehr gegeben. Ausbildungsökonomie heißt: Wenn ich einen Soldaten mühselig ausgebildet habe und entlasse ihn sofort nach seiner Ausbildung im Wehrdienst und berufe ihn dann anschließend nicht wieder ein, dann ist das genauso, als wenn ich Lehrlinge ausbilde und ausbilde und nie arbeiten lasse. Der Ausbildungserfolg amortisiert sich nie. Je kürzer der Wehrdienst wird, desto weniger dürfte auch die Bereitschaft gegeben sein, sich dann im Rahmen eines Wehrdienstverhältnisses auf 23 Monate weiter zu verpflichten.

General Günter Kiesling forderte schon vor Jahren die Abkehr von der Wehrpflicht. Wäre das nicht konsequenter, statt die Dienstzeit weiter zu verkürzen?

Hammel: Mit der Verkürzung des Wehrdienstes auf 10 Monate stellt sich die Frage, ob wir die Wehrpflicht noch aufrecht erhalten wollen. Auf der anderen Seite ist Deutschland nicht in einer europäischen Randlage, das heißt, wir brauchen zusätzlich zum Friedensumfang tatsächlich noch eine Aufwuchskapazität für nicht vorhersehbare Fälle. Und das kann ich nur im Rahmen einer Wehrpflicht darstellen. Wir befinden uns hier aber in einem Konfliktfeld. Eigentlich müßte man sagen, man sollte die Wehrpflicht wieder verlängern, aber das wird politisch nicht durchsetzbar sein, so daß sich tatsächlich ernsthaft die Frage stellt, ob eine Berufsarmee nicht ehrlicher wäre.

 

Ulrich Hammel, 60, Oberst i.G., war zuletzt Chef des Stabes des Wehrbereichskommandos VI/ 1. Gebirgsdivision. Er lebt in München als freier Publizist.

 

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