© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
CDU: Der künftigen Parteivorsitzenden fehlt das konservative Pendant
Letzte Hoffnung Schönbohm
Paul Rosen

Die Partei, hatte der neue CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz Anfang März erklärt, "ist reif für eine Frau". Nun hat sich die CDU-Führung entschieden: Angela Merkel, die 45jährige bisherige Generalsekretärin, soll Nachfolgerin des in der Spendenkrise glücklos agierenden Vorsitzenden Wolfgang Schäuble werden und die Christenunion in eine bessere Zukunft führen.

Nicht jeden beschleichen dabei nur gute Gefühle: Selbst der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, beileibe kein Vertreter des konservativen CDU-Flügels, forderte, bei den Vorstandswahlen müsse die "ganze Bandbreite der Partei" abgedeckt werden. Da der linke, moderne Flügel der CDU in der Führung breit vertreten sein wird, räumt damit selbst Müller ein, daß die CDU auf dem rechten Spektrum Platz freimacht.

Die Sorgen des Saarländers sind nicht unbegründet. Frau Merkel als neue Vorsitzende steht für den linksmodernen Kurs, den die Partei noch unter Schäuble (wenn auch vorsichtig) bereits auf dem Erfurter Parteitag im Frühjahr 1999 einschlug. Folge der Erfurter Leitsätze, in denen die Forderung beschlossen wurde, aus der CDU die modernste Partei Europas zu machen, war ein familienpolitisches Papier, in der die CDU die Familie als eigentliche Keimzelle des Staates in bedrohliche Nähe zu homosexuellen Lebensgemeinschaften rückte und damit faktisch entwertete. In der Bildungspolitik unternahm die Partei den nächsten Schwenk in Richtung Beliebigkeit. Das Abitur als Grundlage für ein Hochschulstudium wird nach den neuen CDU-Beschlüsse weiter entwertet, die in der Schulpraxis gescheiterte Gesamtschule kann in unvermindertem Umfang weitergeführt werden.

Hinter diesen abenteuerlichen Vorstellungen steckt der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers, zugleich Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 14. Mai. Rüttgers hängt der Auffassung an, daß er umso mehr Stimmen bekommt, wenn er den Bürgern im größten Bundesland praktisch das Blaue vom Himmel verspricht. Und in der Bildungspolitik heißt das: Wenn alle Eltern wollen, daß ihre Kinder Abitur machen, dann soll ihnen dieser Wunsch auch erfüllt werden. Rüttgers hat Kohls langjährigen Arbeitsminister Norbert Blüm zum Rückzug aus dem CDU-Präsidium gezwungen und will jetzt dessen Platz als stellvertretender Vorsitzender im Präsidium einnehmen. Die 1001 Delegierten des Essener CDU-Parteitages dürften Rüttgers mit großer Mehrheit zum Vizevorsitzenden wählen, da es in der Partei nicht üblich ist, Spitzenkandidaten vor Wahlen abzustrafen.

Neben Rüttgers, dem neuen Gesicht im Präsidium, dürften zwei alte Bekannte sitzen: Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan tritt wieder als stellverstretende Vorsitzende an und hat – als einzige Frau in der Stellvertreter-Riege – beste Chancen, wiedergewählt zu werden. Politisch blieb Frau Schavan in den eineinhalb Jahren ihrer Amtszeit eher blaß. Allerdings machte sie Front gegen Frau Merkels Familienpapier mit Einschluß der Homosexuellen. Zur Frontfigur der Konservativen scheint sie sich nicht zu eignen: Als es auf dem Kleinen Parteitag im Dezember in Berlin zur Sache ging und Frau Merkels Familienpapier zur Debatte stand, schwieg Frau Schavan. Trotz zahlreicher Gegenanträge wurde das Merkel-Papier praktisch unverändert beschlossen.

Auch Christian Wulff dürfte stellvertretender Parteivorsitzender bleiben. Wulff hat eine jahrzehntelange Parteikarriere bereits erfolgreich absolviert; die notwendige Zustimmung bei den Wählern in Niedersachsen blieb ihm bisher verwehrt. Wulff gilt, auch wenn er in seinen Reden die Liebe zur Heimat und zu einem positiven Vaterlandsbegriff beschwört, keinesfalls als Rechter, sondern eher als Repräsentant des typischen liberalen Bildungsbürgertums. Seine Wiederwahl gilt als relativ sicher.

Selbst die bayerische CSU hatte den Schwund am rechten Rand der CDU bereits vor Wochen gespürt. Parteichef Edmund Stoiber hatte sogar beim schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Volker Rühe angefragt, ob dieser nicht CDU-Chef werden wollte. Das war mehr als ungewöhnlich, verdeutlicht aber die Not, in der die CSU die CDU stecken sieht. Selbst ein Volker Rühe, der als Verteidigungsminister von deutschen soldatischen Traditionen nichts wissen wollte und auch sonst nichts mit konservativen Ideen im Sinn hat, sollte noch als Repräsentant des rechten Flügels herhalten, um Frau Merkel zu verhindern. Die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (Sachsen) und Bernhard Vogel (Thüringen) wollten sich nicht bewerben, weil sie die direkte Auseinandersetzung mit der Kandidatin scheuten. Aber auch Rühe zog gegen Merkel zurück.

Rühe könnte jetzt sogar als Stellvertreter Merkels scheitern, da der aus dem Hamburger Landesverband kommende Politiker keine Hausmacht hat. Selbst norddeutsche Parteifreunde raten Rühe, seinen künftigen Schwerpunkt auf die Bundestagsfraktion zu verlegen, wo er nach der verlorenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein als stellvertretender Vorsitzender wiedergewählt worden war. Rühe ist in der Partei unbeliebt, sein Verhältnis zu dem wahlentscheidenden Nordrhein-Westfalen ist zerrüttet.

Rühe droht eine Niederlage. Der Saarländer Müller strebt auf einen der Stellvertreter-Plätze. Müller hat jedoch ein Problem: Da die Stellvertreter in Blockwahl und somit in einem Wahlgang gewählt werden, könnte er eventuell den Niedersachsen Wulff verdrängen. Müller und Wulff gehören jedoch zu den "Jungen Wilden", den früher eher sanften Kohl-Kritikern, die sich heute – als über 40jährige – anschicken, die führenden Positionen in der Partei unter sich aufzuteilen. Rühe könnte, falls mit Wulff und Müller zwei "Junge Wilde" ins Rennen gehen sollten, der lachende Dritte sein und – ganz knapp – seinen Vize-Sitz behalten. Daher dürfte in der nächsten Zeit versucht werden, stärkeren Druck auf Rühe auszuüben, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Noch schweigt sich Frau Merkel darüber aus, wen sie als neuen Generalsekretär präsentieren will. Doch zwischen der neuen Vorsitzenden und dem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz bleibt nur wenig Spielraum für einen Generalsekratär, der sich in Kürze bereits wie ein fünftes Rad am Wagen fühlen würde.

Letzte Hoffnung der Konservativen bleibt der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm. Der versteht sich als Konservativer und war früher Bewunderer des Ex-Innenministers Manfred Kanther, ehe sich der Hesse durch mafiöse Schwarzgeldoperationen im Ausland selbst in den politischen Abgrund stürzte. Kanther galt mit seinen Recht-und-Ordnung-Prinzipien als Symbolfigur der CDU-Rechten. Schönbohm: "Diese Positionen müssen in der Partei jetzt wieder eindeutig durch Personen besetzt werden – dazu bin ich bereit." Doch räumt der Landesinnenminister selbst ein, daß sein brandenburgischer Landesverband nur 14 Delegierte stellt und seine Wahl keineswegs sicher ist.

Auch die Frage, ob sich die CDU durch Hinzuziehung Stoibers als Kanzlerkandidat wieder ein rechtes Standbein verschafft, bleibt offen. Zwischen Merz und Merkel einerseits und Stoiber andererseits liegen Welten. Für die Jüngeren in der CDU ist der Bayer als Kanzlerkandidat ganz einfach zu alt. Wer 2002 gegen Schröder antritt, wollen Merz und Merkel lieber unter sich ausmachen.


 
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