© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Konservatismus: Ein Gespräch mit dem Verleger Karl Ludwig Bayer
"Es wird kein Paradies auf Erden geben"
Moritz Schwarz

Herr Bayer, seit 25 Jahren erscheint nun unter dem Wahlspruch "Ideen von heute sind die Taten von morgen" die "Epoche". Sie wollen ein "Ideenmagazin" sein?

Bayer: Die Epoche habe ich damals zusammen mit Bruno Bandulet, Hans Habe, otto Schedl, Gerhard Goldberg, Winfried Martini und Walter Hoeres auf den Weg gebracht. Wir haben stets zielbewußt freiheitlich-konservative Positionen vertreten und uns dabei vor allem auch um geistige Tiefe bemüht. Wir haben die Epoche als Impulsgeber für Entscheidungsträger und Meinungsführer bezeichnet, da sehr viele Meinungsbildungsprozesse tatsächlich über Meinungsführer ablaufen. Also kein Massenblatt, sondern eines, das der Vertiefung geistiger Positonen dient.

Was wollen Sie mit dem Namen "Epoche" zum Ausdruck bringen?

Bayer: Wir wollen zum Aufbau einer konservativen Epoche im deutschen Sprachraum beitragen. Ich glaube an die Macht der Ideen. "Bücher von heute sind Taten von morgen", hat Thomas Mann gesagt und das läßt sich leicht variieren in den Satz: "Ideen von heute sind Taten von morgen". "Ideenmagazin" nannte es mal Manfred Wörner, der uns bescheinigte, als Argumente- und Informationsmagazin auch die Entscheidungsträger und Multiplikatoren in seiner Partei zu erreichen. Obwohl wir parteiunabhängig sind und über die Unionsparteien hinaus Menschen ansprechen wollen.

Wie definieren Sie Konservatismus?

Bayer: Ich verstehe darunter ein realistisches Menschenbild und die Einsicht, daß es einen linearen Fortschritt nicht gibt. Dies sind die soliden Grundlagen für politische Evolution und Reform: das Machbare zu tun und das Utopische den Romanciers zu überlassen. Die Devise moderner Konservativer lautet "Freiheit statt Gleichheit". Konservative wissen, daß es kein Paradies auf Erden geben kann. Sie verstehen ihre Haltung in der Praxis als Maßstab für ein Handeln, das sich an der Richtschnur Erfahrung orientiert. Großes Gewicht messen sie der historischen Erfahrung bei. Aus ihr leiten sie ab, daß sich der Einzelne nicht ohne eine funktionierende Gemeinschaft erhalten kann und deshalb Stabilität und Kontinuität notwendige Stützpfeiler einer freiheitssichernden Ordnung sind. Wer geschichtliche Erfahrungen ernst nimmt, weiß um die unaufhebbaren Verhaltenskonstanten des Menschen, um seine naturgegebene Individualität und Ungleichheit. Und er weiß um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik, die darin liegt. Gleichheitspolitik führt zwangsläufig zum schmerzhaften Zusammenstoß mit der Natur des Menschen. Deshalb sind die Experimente des Egalitarismus gescheitert und die Früchte des Sozialismus so kümmerlich. Wer human denkt, bejaht die Ungleichheit des Menschen. Das ist konservatives Denken.

Der klassische Kern des Konservatismus in Deutschland ist der Begriff der Verantwortung. Sie betonen aber in angelsächsicher Manier fast ausschließlich die Freiheit?

Bayer: Seit denJahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wird das "conservare" vor allem als ein Bewahren der Freiheit verstanden. Das ist aber nicht nur als Abgrenzung zum Kommunismus zu verstehen gewesen. Der Autor und Vordenker der Epoche, Russell Kirk, hat sehr viel von Freiheit, von den Grundrechten und von der Würde des Menschen gesprochen. Freiheit war ihm Grundlage der Humanität. Es ist das, was sich in Amerika und in England als "conservative" bezeichnet und das eine Richtung repräsentiert, die in Deutschland auch dem klassischen Liberalismus zugeordnet wird. Es ist bezeichnend, daß Ronald Reagan, als er zum Präsidenten der USA gewählt wurde, sich in seiner ersten Ansprache bedankt hat bei jenen, die die geistige Vorarbeit für diesen Sieg geleistet haben. Und dabei nannte er neben Russell Kirk auch Friedrich August von Hayek.

Friedrich August von Hayek einer der bedeutensten Vertreter des Liberalismus. Muß sich der deutsche Konservatismus wandeln?

Bayer: Er hat es längst getan. Der angelsächsische und der deutsche Konservatismus decken sich in der Bejahung des Staates in seiner Schutzfunktion, vor allem der inneren und äußeren Sicherheit. Aber wir wollen ihn nicht in den Bereichen, wo Privatautonomie möglich ist, Menschen ihre Angelegenheiten selbst regeln können, wo sie vor allem wirschaftliche Tätigkeiten ausüben.

Sie sehen sich in der Tradition Edmund Burkes?

Bayer: Ja natürlich. Edmund Burke ist einer der ganz großen Vorkämpfer der Idee, im Gegensatz zum totalitären Gleicheitsdenken der Französischen Revolution auf die Freiheit zu setzen und die Ungleichheit der Menschen im Rahmen einer pragmatischen Politik zu akzeptieren. Es läßt sich aber auch an vielen konkreten Fragen festmachen. Am deutlichsten ist wohl, was die Republikaner in den USA tun, statt von Ideologie, treffender nur von "Agenda" zu sprechen: Sagen wir konkret, zu welchen Fragen wir welche Positon beziehen! Freiheitlich-konservativ ist die Verbindung von konservativen und liberalen Positionen. Das ist die Idee der Freiheit – die Absage an Kollektivismus und Sozialismus. Darin sehe ich die Chance für die Zukunft.

Helmut Kohls unsittliches Verhalten hat die Diskussion angestoßen: Stimmt die These, die Krise der CDU sei auch die Krise des Konservatismus?

Bayer: Ich glaube nicht, zumal die CDU nur zu einem kleinen Teil konservative Positionen vertritt und ja selbst auch den Begriff konservativ gescheut hat. Ganz im Gegensatz zur CSU, die ihn für sich immer mit in Anspruch genommen hat. Die Spendenaffäre stellt also nicht den Konservatismus in Frage, sondern verringert lediglich die Zahl derer, die bereit sind, die CDU zu wählen. Das Lager derer, die freiheitlich-konservativ, liberal-konservativ oder national-konservativ denken, ist dadurch nicht kleiner geworden.

Also keine Krise des Konservatismus?

Bayer: Im Gegenteil. Ich glaube, daß sich in Europa, wie jetzt auch die Wahlen in Spanien und vorher in Österreich dokumentieren, wieder eine Trendumkehr abzeichnet, eine Überwindung dieser sozialdemokratischen Dekade. Das erklärt auch die Aufgeregtheiten der Sozialistischen Internationale und die Boykottmaßnahmen gegen die Regierung in Wien. Die CDU wird nur sehr begrenzt davon profitieren, sobald sie Angela Merkel zur Vorsitzende wählt. Denn ich gehe davon aus, daß dadurch das Feld rechts von der CDU größer wird und sich in diesem Vakuum neue Formationen bilden werden.

Dann sehen sie also in der gegenwärtigen Situation gar eine Chance für den Konservatismus?

Bayer: Die Frage ist, wie wird es sich der konservative Wähler bei Wahlen künftig entscheiden: Zu Hause bleiben, weiter die Union, oder aber etwas Neues wählen? Nicht nur die Epoche, sondern auch Michael Stürmer in der Welt, hat die Auffassung vertreten, die CSU sollte diese Lücke füllen, indem sie einen verlängerten Arm, beispielsweise in Gestalt einer wiederbelebten "Deutschen Partei", in den übrigen 15 Bundesländern aufbaut. Sollte die CSU diese Möglichkeit nicht ergreifen, wird es meiner Vorraussicht nach ohne die Unionsparteien zu neuen konservativen Gruppierungen mit Aussicht auf Wahlerfolg kommen. Zur Zeit noch ist dieses Lager ja zersplittert, deshalb läßt sich noch nicht voraussehen, welche Kraft das Rennen machen wird.

Wer sind die Träger des Konservatismus in Deutschland?

Bayer: Es gibt eine Vielzahl von Kreisen, die sich überall bilden, Bürger, die sich treffen. Von überall her erreichen mich Zuschriften. Es gibt einige Publikationen, die sich schon seit längerer Zeit um dieses Lager bemühen. Auch gab es einen zunächst sehr ernsthaft aussehenden parteipolitischen Versuch – den Bund Freier Bürger. Nur hat das leider nicht zum Erfolg geführt. Der Zeitpunkt für dieses Projekt war wohl zu früh gewählt.Vielleicht würde er heute größeren Erfolg haben, wenn er sich jetzt mit seiner anfänglichen Kraft erneut stellen würde.

Voraussetzung für eine mögliche konservative Partei ist die Verankerung in der Gesellschaft. Wo also sind die gesellschaftlichen Träger des Konservatismus?

Bayer: Die Kirche war ein traditioneller konservativer Pfeiler. Doch ich halte es eher mit den britischen Konservativen, die Staat und Kirche trennen. Eugen Gerstmaier hat einmal gesagt, im Politischen käme es nicht darauf an, von welcher religiösen oder weltanschaulichen Grundlage jemand argumentiere, sondern, zu welchen Konsequenzen er gelange. Auch die CDU wurde ihrer politischen Agenda wegen gewählt und nicht aus religiösen Motiven. Auf der Suche nach dem kleineren Übel: So mancher verfuhr nach dem Motto "Augen zu - CDU".

Warum muß der Konservatismus in Deutschland überhaupt erst wieder entstehen? Schließlich hatte er hier einst eine ehrwürdige Tradition. Hat Konrad Adenauer den Konservatismus nicht mit der Zerstörung der"Deutschen Partei" kaputtgemacht?

Bayer: Adenauer hat tatsächlich selbst einmal im Rückblick festgestellt, die Untergrabung der Eigenständigkeit der DP und ihre Integrierung in die CDU sei sein größter innenpolitischer Fehler gewesen. Adenauer hatte nicht bedacht, daß mit dem Ende der DP und des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) nicht alle deren Wähler für die CDU gewonnen werden konnten. Etwas ähnliches haben wir in kleinerem Maßstab im Saarland erlebt: Die ursprünglich separatistische Christliche Volkspartei (CVP) hatte sich mit der Rückkehr des Saarlandes zu Deutschland abgefunden. Nun kooperrierte sie, unterstützt von der CSU, mit der CDU. Die Summe der Stimmen von CVP und CDU garantierten im Saarland die absolute Mehrheit. Aber schließlich hat dann die CDU die CVP geschluckt. Die beiden Parteien haben sich vereint. Wäre die CVP mit CSU-Hilfe erhalten geblieben, dann wäre es im Saarland über viele Jahre hinweg leichter gewesen. Das gleiche Modell haben wir in veränderter Form bei den freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 erlebt, wo sogar drei verschiedene Listen angetreten sind, die CDU, die DSU und der Demokratische Aufbruch. Alle drei zusammen haben dann die absolute Mehrheit der Mandate errungen. Die CDU alleine hätte das nicht geschafft. Nicht der Konservatismus ist in der Krise, sondern aufgrund falscher strategischer Entscheidungen sein "politischer Arm".

In welcher Partei sehen Sie die Zukunft des Konservatismus?

Bayer: Vorbild sind uns zum Beispiel die US-Republikaner oder der israelische Likud-Block - die Partei Begins und Netanjahus. Ich selbst gehöre seit Jahrzehnten der CSU an. Ich habe den Eindruck, daß der Resonanzboden, gerade der jungen Leute, groß ist. Das gibt mir das Gefühl – ich sehe das auch an Zuschriften – daß diese Gedanken auf fruchtbaren Boden fallen. Es gilt die existierende, strukturelle nicht-linke Mehrheit in Deutschland zu aktivieren. Das ist ein strategischer, geistiger Prozeß. Das Signal von Wien, daß ich für sehr wichtig halte, deutet diese allmähliche Trendwende in Europa an: Die sozialdemokratische Periode geht zu Ende. Eine konservative Epoche beginnt. Moritz Schwarz

 

Karl Ludwig Bayer, geboren 1941 in Wien, wurde er nach dem Krieg Bundesdeutscher. Er studierte Publizistik, Politik und Geschichte in Salzburg und München. Heute ist er Verleger der "Epoche" und freier Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften. Bild: Karl Ludwig Bayer (rechts) im Gespräch mit dem kürzlich verstorbenen Freund und Autor der "Epoche", André Kostolany.

 

Epoche: Geistiges Rüstzeug

Wahrlich schon fast eine kleine Epoche, nämlich ein Vierteljahrhundert, begleitet das gleichnamige "Ideenmagazin" aus dem bayerischen Bad Reichenhall die Zeitläufe der bundesdeutschen Politik. Gegründet in tiefer sozialdemokratischer Nacht, nicht als Talglicht für den Weg zurück in eine konservative Idylle, sondern als Leitstern in die lichte Klarheit eines modernen Konservatismus. Natürlicher politischer Ordnung soll das geistige Rüstzeug verliehen werden, um Dauer zu erlangen gegen laborant ausbalancierte politische Heilsversprechen in Form "idealer" gesellschaftlicher Konstruktionen.

Einmal pro Quartal versammelt die Epoche auf 50 Seiten in erster Linie prominente Persönlichkeiten für die gemeinsame Sache. Neben alten konservativen Kämpen wie Otto von Habsburg, finden sich auch alternative Autoren, wie der ehemalige Bürgerrechtler Lutz Rathenow. Neben CSU-Politikern wie Edmund Stoiber, Thomas Goppel oder Kurt Faltlhauser auch ARD-Fernsehkorrespondent Detlef Kleinert, Welt-Korrespondent Thomas Kielinger oder der ehemalige Spiegel-Korrespondent Botho Kirsch.

Unter ihrem Sinnbild, einer altägyptischen Darstellung, des mit den "Federn der Wahrheit" geschmückten Phönix, der 20. Königsdynastie aus dem 11. Jahrhundert vor Christus strebt die Epoche (Verlag für Publizistik, Postfach 2420, 83426 Bad Reichenhall) die Kraft der Beharrung für die Zukunft nutzbar zu machen.

 

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