© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Lothar Höbelt: Von der vierten Partei zur dritten Kraft
Die FPÖ fiel nicht vom Himmel
Hans-Helmuth Knütter

Haider, Haider über alles! Seit der Bildung der ÖVP/FPÖ-Regierung in Wien wird politische Hysterie in Europa geschürt. Günstiger Nebeneffekt: Den Europäern wird vor Augen geführt, was sie in einem von der Sozialistischen Internationale dominierten Europa zu erwarten haben.

Noch vor wenigen Monaten sprach kaum jemand von der FPÖ, so daß man sich fragt, ob sie plötzlich vom Himmel gefallen ist. Es hat sie aber schon vorher gegeben und wie! Ihre interessante Geschichte, insbesondere das Verhältnis zu SPÖ und ÖVP vermittelt manches Aha-Erlebnis. Lothar Höbelt, Historiker an der Universität Wien, kam im rechten Augenblick mit seinem Buch.

Als Österreich sich 1945 aus dem Großdeutschen Reich löste, setzte eine besonders heftige und verlogene Vergangenheitsbewältigung ein. Wollte doch niemand wahrhaben, mit welcher Begeisterung "Deutsch-Österreich" 1938 den Anschluß vollzogen hatte. Immerhin 600.000 ehemalige NS-Mitglieder wurden in ihren staatsbürgerlichen Rechten beschnitten. Heimkehrer, also ehemalige Soldaten der Wehrmacht, betrachteten die neuen Machthaber mißtrauisch. Das Eigentum vieler ehemaliger Nationalsozialisten wurde unter Fremdverwaltung gestellt. Die Besatzungsmächte ließen den Österreichern einen kleinen politischen Spielraum, den sich die SPÖ und die ÖVP teilten. Die Kommunisten als dritte Partei manövrierten sich 1950 mit einem erfolglosen Putsch selbst ins Abseits, ihre schamlose Sowjethörigkeit entlarvte sie.

In dieser Situation erschien als vierte Partei, die sich jedoch bald zur dritten Kraft entwickelte, der "Verband der Unabhängigen" (VdU). Wer glaubt, hier hätten sich nur die "Ehemaligen" zusammengefunden, um ihre Ressentiments zu pflegen, der irrt gleich mehrfach. Der VdU war gewiß die Interessenvertretung der "Entrechteten", die von den beiden etablierten Parteien zurückgestoßen wurden. Aber er wurzelte in der österreichischen Geschichte. Antiklerikale, Volkstumskämpfer, Deutschnationale, Nationalliberale, die in der großdeutschen Tradition der Lueger und Schönerer standen, wirkten neben Landbund-Angehörigen. Ein Drittel der Erwerbstätigen war damals noch in der Landwirtschaft tätig. Auch Arbeiter und Angestellte fanden ihre politische Heimat im VdU.

Interessant im Hinblick auf den heutigen Arbeiteranteil in der FPÖ sind die Angaben zur Sozialstruktur des VdU. Es gab einen "sozialistischen" Flügel, der zwar keinen marxistischen Sozialismus, aber einen interventionistischen Wohlfahrtsstaat wollte. Großbetriebe waren damals in Österreich verstaatlicht, Mittelbetriebe oft in der Hand von "öffentlichen Verwaltern". Der "Klassenkampf" richtete sich deswegen nicht gegen Privatkapitalisten, sondern gegen das SPÖ/ÖVP/ÖGB-Establishment. Kein Wunder, daß sich das antifaschistisch maskierte Posteninteresse der Funktionäre gegen den VdU richtete. Haarsträubend, in welchem Maße er von Agenten durchsetzt war. Höbelt blickt etwas einseitig nur auf die amerikanischen Spitzel. Die anderen Besatzer, insbesondere die Sowjets, dürften eine viel üblere Rolle gespielt haben, als dieses Buch erkennen läßt. Trüb ist auch die Rolle der etablierten Parteien. Hauptfeind des VdU war die ÖVP, die sich eine rechte Konkurrenz mit allen Mitteln vom Halse halten wollte, während die SPÖ den VdU gar nicht so ungerne sah: spaltete er doch die nichtsozialistischen Kräfte. Da der VdU andererseits viel Anhang bei Arbeitern und Angestellten hatte, bekämpfte ihn die Funktionärsschicht des ÖGB erbittert.

Wie stand es mit den Erfolgen des VdU? Er hatte bei den Wahlen in den Ländern und zum Nationalrat stets größere Erfolge als die rechten Parteien in Deutschland. Aber er schwächte seine Möglichkeiten durch die wohlbekannte Uneinigkeit. Der Verband muß ein furchtbar zerstrittener Haufen gewesen sein. Erfolge blieben auch begrenzt, weil es keine charismatische Führerpersönlichkeit gab, und die "Milieudichte" unzulänglich war. Allmählich, im Laufe der Jahre, ließ der Druck der "Vergangenheitsbewältigung" nach. Viele, die durch Berufsverbote und -behinderung um 1950 ihr Leben als Arbeiter fristen mußten, kehrten in ihre alten Berufe zurück. Mit zunehmendem Wohlstand und der Integration benachteiligter Schichten schwand der Einfluß des VdU. So kam es 1956 zu seiner Auflösung und der Gründung der FPÖ. Damit beginnt ein neues Kapitel der österreichischen Parteiengeschichte. Hier endet Höbelts Darstellung.

Dieses lehrreiche Buch ist nicht leicht zu lesen. Höbelt überschüttet den Leser mit einer furchterregenden Detailfülle. Welche längst vergessene Größe von gestern sich irgendwann irgendwo mit irgendwem in irgendeinem Hinterzimmer zu folgenlosen Beratungen getroffen hat, wobei es gelegentlich auch zu Tätlichkeiten kam – das alles wird mitgeteilt, und der Leser hat es schwer, in der Faktenfülle den roten Faden nicht zu verlieren. Wer sich aber durchkämpft, gewinnt wertvolle Informationen und sieht manches heutige Ereignis klarer.

Worin liegt der Wert des Buches? Es enthüllt, was heute verschwiegen wird: Die SPÖ hat den VdU umworben und sich nicht gescheut, mit ihm bzw. der FPÖ 1986 eine Koalition einzugehen. Wenn es doch erwähnt wird, dann mit der verlogenen Erklärung, die heutige FPÖ sei eine andere Partei als ihre Vorläufer. Eine glatte Lüge. Aus Höbelts Geschichte ergibt sich: VdU und FPÖ waren immer auch Vertretungen der "Ehemaligen", der Wehrmacht, Waffen-SS, Vertriebenen, Internierten. Nicht die Richtung und die Sozialstruktur unterscheidet die Haider-FPÖ von der früheren, sondern: die heutige FPÖ bedroht die Posten und Pfründen der SPÖ- und ÖGB-Bonzen. Deshalb hetzen sie schamlos gegen eine Partei, von der sich SPÖ-Kanzler Klima noch vor wenigen Monaten tolerieren lassen wollte. Hinzu kommt: Das antifaschistische Milieu hat sich verfestigt. Antifa-Propaganda ersetzt heute die 1989 gescheiterte sozialistische Theorie, mit der kein Hund mehr hinter dem Ofen hervorzulocken ist. Wie schön, daß man mit dem Antifa zugleich dümmliche Bourgeois einfangen kann, die sich von allem "Rechten" distanzieren. Das geschieht auch, weil man sehr zu recht fürchtet, Wähler könnten nach rechts driften. Die Erfolge der FPÖ beweisen das.

Jedenfalls hat Lothar Höbelt den Linken die Ausrede verdorben, die heutige FPÖ unterscheide sich grundsätzlich von ihren Vorläufern. Der Unterschied ist nicht grundsätzlich, sondern allenfalls graduell. Jeder, der sich für die inneren Verhältnisse Österreichs interessiert, sollte dieses aufschlußreiche Buch lesen.

 

Lothar Höbelt: Von der vierten Partei zur dritten Kraft: Die Geschiche des VdU. Leopold Stocker Verlag, Graz 1999, 304 Seiten, Abb., geb., 49,80 DM


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen