© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Michael Ploetz: Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor
Kräftemessen bis zum Blutvergießen
Ronald Gläser

Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung verblaßt langsam die Erinnerung an die große Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Das Buch "Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor" von Michael Ploetz ruft diese Zeit wieder lebhaft ins Gedächtnis. Der Autor konnte all die SED- und DDR-Akten einsehen, die eigentlich unter Verschluß wären, gäbe es die DDR noch. Da sie aber ersatzlos von der Landkarte gestrichen wurde, sind auch die Unterlagen vor dem Ablauf aller sonst üblichen Sperrfristen jedem zugänglich.

Ploetz untersucht die Gründe für den Niedergang des Ostblocks infolge des Kalten Krieges. So bewertet er zum Beispiel die offensiv ausgerichtete Militärstrategie der Sowjets und ihre gleichzeitige Angst vor einem Atomkrieg. Insbesondere in Hinblick auf diese Angriffsstrategie hat er Details über die Planungen für eine künftige Kriegsschulddebatte zutage getragen. Die Westalliierten sollten zu einem Erstschlag veranlaßt werden, der von einem gut vorbereiteten Warschauer Pakt pariert werden sollte.

Ferner untersucht Autor die angespannte wirtschaftliche und politische Lage der Sowjetunion Anfang der 80er Jahre. Das und die Hinwendung Nixons nach China dürfte die zahlreichen Befürchtungen im Kreml verstärkt haben. Dabei scheint die Führungselite der Sowjetunion die Ursache für diese "Gegenoffensive des Imperialismus", nämlich ihre eigene Rüstungsanstrengungen und Aktionen wie Afghanistan, völlig ausgeblendet zu haben. Das ganze Weltbild wurde durch entsprechende nachrichtendienstliche Erkenntnisse verstärkt. Diese wurden, bis hin zum Bericht des kleinsten Stasi-IM auf die sowjetische Sichtweise hin angepaßt.

Mit der Wahl Ronald Reagans ging diese Angst der Russen in Hysterie über. In einer Einschätzung von 1982 äußerte eine russischer USA-Experte, "daß es eben in dieser Gruppe Leute gibt, die in der Lage sind, die auch bereit sind, auf den Knopf zu drücken." Das erste Ziel sowjetischer Außenpolitik und Geheimdienstarbeit wurde demnach als Eindämmung der "negativen Auswirkungen der Reagan-Politik" definiert, weil Leute wie Weinberger ein Kräftmessen "bis zum Blutvergießen" vorbereiteten.

Auch für die DDR-Außenpolitik gewann die Infiltration beispielsweise pazifistischer und kirchlicher Gruppen im Westen an Bedeutung. Der Erfolg, den die östlichen Machthaber mit ihrer Unterwanderung der Friedensbewegung hatten, scheint sie selbst überrascht zu haben. Erst recht das Umschwenken der SPD ins Lager der Friedensbewegung ab 1983 muß in Ost-Berlin wahre Freudentänze ausgelöst haben.

Besonders interessant ist, was der Autor aus den SED-Akten zu den Grünen herausgearbeitet hat. Die Reaktion der SED-Spitze waren gespalten. Für Kurt Hager war die Ökopartei ein Ablenkungsmanöver vom Klassenkampf, und für die DKP waren die Grünen eine existentielle Bedrohung. Die Reaktion der Kommunisten bestand in der "Bekämpfung der feindlichen Brückenköpfe" innerhalb der Friedensbewegung wie beispielsweise Petra Kelly.

Pikante Details aus dem Verhältnis SED-SPD kommen durch das Buch an das Licht: über den Krenz-Besuch bei den Jusos 1980, über Erhard Epplers Ansichten zur Demokratie und über den "wichtigsten Apologeten der SED in den westlichen Medien", Günter Gaus. Für Gaus, der die Bundesrepublik in Ost-Berlin vertreten sollte, war dieser eigene Staat "militaristisch". Nicht zuletzt wird Egon Bahrs "Wandel durch Anbiederung" untersucht.

Der Niedergang der DDR wie des ganzen Ostblocks hatte zunächst wirtschaftliche Ursachen. Auch die Unfähigkeit, die Realitäten in einem von kommunistischen Rädelsführern aus der Weimarer Zeit geprägten Umfeld zu erkennen, spielte eine große Rolle. Schließlich verschlechterte sich das Verhältnis zwischen der KPdSU und den SED in den achtziger Jahren zusehends. Der "Zusammenbruch des ideologischen Zentrums" in Moskau und Berlin tat sein übriges.

Schwach wird das Buch, wenn der Zweite Weltkrieg von Ploetz als Bezugspunkt für die sowjetische Politik herangezogen wird. Die Stärken seiner Arbeit liegen in der Betrachtung des Zeitraums von 1975 bis 1985, in der Aufarbeitung des "Zweiten Kalten Kriegs". Ronald Gläser

 

Michael Plotz: Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor. Von der Nachrüstung zum Mauerfall. Propyläen, Berlin 2000, 456 Seiten, geb., 48 DM

 

Ronald Gläser studiert amerikanische Geschichte.


 
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