© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Joachim Rogosch: Wie christlich ist die CDU?
Die verlorene Identität einer Partei
Klaus Motschmann

Die aktuellen Fragen, denen sich die CDU seit Wochen im Zusammenhang mit dem "System Kohl" zu stellen hat, haben eine sehr viel wichtigere, weil grundsätzliche Frage in den Hintergrund gedrängt: Welche Rolle spielt noch das "C" im Programm und in der politischen Praxis der CDU? Es ist die Frage nach dem Selbstverständnis der CDU, die sich seit Jahren vor allem Mitglieder, Sympathisanten und Wähler der CDU stellen. Mit dem Spendenskandal hängt sie direkt nicht zusammen, wenngleich von der Antwort auf diese Frage entscheidende Impulse für die erzwungene Neuorientierung der CDU ausgehen.

Die Lektüre des Buches des Diplomtheologen und Publizisten Joachim Rogosch "Wie christlich ist die CDU?" vermittelt einen überzeugenden Eindruck von den Schwierigkeiten einer verbindlichen Antwort.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Sie erklären sich sowohl aus prinzipiellen Einstellungen zum Verhältnis von Christentum und Politik als auch aus den Konsequenzen des sogenannten Wertewandels (man sollte korrekterweise von "Werteverfall" sprechen) für eine Partei mit dem programmatischen "C" im Parteinamen. Auch alle anderen Parteien sind von dieser Herausforderung selbstverständlich betroffen, aber keine so stark wie die CDU/CSU, weil die Orientierung an christlichen Wertvorstellungen und Wertordnungen in einer weitgehend entchristlichten (neue Bundesländer) und entkirchlichten (alte Bundesländer) Gesellschaft in einer großen Volkspartei kaum noch zu vermitteln ist. Aber sie muß vermittelt werden, wenn der immer offenkundiger werdende Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht zu einem schweren Glaubwürdigkeitsverlust führen soll.

Bislang waren zwei Varianten erkennbar, so Joachim Rogosch, um dieses Dilemma zu lösen: Die Partei "kann dies auf zwei Arten versuchen: Indem sie das ‚C‘ verleugnet und sagt: wir sind ja gar nicht so christlich. Oder indem sie bewußt macht, daß christlich motivierte Politik keine Politik zum Nutzen der Christen ist", sondern zum Nutzen für das ganze Volk getrieben wird, also auch für jene, die keine Christen oder auch nicht Mitglieder bzw. Wähler der CDU sind. Dieser "Nutzen" ließ sich relativ einfach im unmittelbaren zeitlichen oder räumlichen Erfahrungsbereich totalitärer Systeme erkennen, also 1945 nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen, 1989 nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Herrschaftssystems.

In diesem Sinne warnt der Berliner Kardinal Sterzinski vor einer freiwilligen Preisgabe des "C", weil damit zum Schaden für alle das historisch gewachsene und bewährte Ordnungs- und Wertgefüge der Bundesrepublik Deutschland von seiner Verankerung im christlich-abendländischen Menschen und Gesellschaftsverständnis gelöst werden könnte. Wenn man in dieser Hinsicht, zum Beispiel durch die Streichung des Gottesbezuges in der Präambel des Grundgesetzes, etwas ändern will, "will man ein anderes, politisch begründetes Gesetz ermöglichen".

In weiten Teilen des deutschen Volkes wird dieser Zusammenhang auch verstanden: man wählt CDU, obwohl man persönlich weder kirchlich noch konfessionell gebunden ist. Die Wahlergebnisse in den neuen Ländern kurz nach der Vereinigung, aber auch in deutschen Großstädten der alten Länder sind ein deutlicher Beleg für die Feststellung Kardinal Sterzinskis, daß sich das Christliche im Programm der CDU immer noch "überzeugend und gewinnend für Nicht-Christen darstelle" lasse, so daß keine Veranlassung besteht, das "C" in den Hintergrund zu schieben.

Rogosch hat diese Tendenz bei dem bisherigen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble ausgemacht: "Wenn der CDU-Chef Grundsatzreden hält, kommt das Christliche praktisch nicht vor. Kein ‚christliches Abendland‘ mehr, keine ‚christlichen Wurzeln‘, keine ‚christliche‘ Tradition als herzerwärmendes Beiwerk für festliche Anlässe" – zum Beispiel auf dem Zukunftsforum der CDU im Mai 1999 in Cottbus.

Statt dessen spricht Schäuble von der Notwendigkeit einer "Übersetzung des christlichen Glaubens und der christlichen Überlieferung in das, was eine Partei braucht", womit er jedoch seine eigene Position und nicht die der CDU definiert. Dabei fällt einem allerdings das Bonmot ein, daß es sich mit Übersetzungen wie mit Frauen verhält: sind sie schön, sind sie nicht treu; sind sie treu, sind sie nicht schön. Tatsächlich warnt Schäuble vor allzu treuen "Übersetzungen" der biblischen Botschaft, die er natürlich kennt und persönlich auch beachtete, ins Politische, weil sie "fundamentalistische" Haltungen begünstige und damit die Gefahr einer vermeintlichen Realitätsverweigerung. Musterbeispiel dafür ist die Auseinandersetzung um den Paragraphen 218, der "Lackmus-Test" für viele Christen in ihrem Verhalten zur CDU, in der Schäuble eine ebenso bemerkenswerte wie irritierende "Übersetzung in das, was die Partei braucht" vorgelegt hat, die zwar "schön", aber eben nicht (ganz) treu ist.

Unter dem breiten Spannungsbogen zwischen Kardinal Sterzinksi und Wolfgang Schäuble hat Rogosch die Antworten anderer namhafter CDU-Politiker zusammengefaßt, die er in ausführlichen Gesprächen ermittelt hat: mit der stellvertretende Vorsitzenden Annette Schavan und der Bundesvorsitzenden der Jungen Union, Hildegard Müller, dem langjährigen Umweltminister Sachsens, Arnold Vaatz, und dem CSU-Generalsekretär Thomas Goppelt, dem niedersächsischen CDU-Vorsitzenden Christian Wulf sowie den "Betrachter der CDU von außen" Robert Antretter (SPD) und Christa Nickels (Die Grünen). Ihre Voten sind ein Beleg dafür, wie weit sich das Spektrum "christlicher" Verantwortung auffächert und wie schwierig es ist, eine sowohl christliche als auch nicht-christliche Wähler überzeugende Grundlinie zu finden, die allen klare Orientierung bietet, sei es in größerem oder engerem Abstand.

Damit wird ein Grundproblem der CDU angedeutet, bedauerlicherweise aber nicht ausführlich genug behandelt: daß die CDU zu einem sehr breiten Spagat gezwungen wird, der nur möglich ist, wenn sie auf klare Definition (d. h. nach dem Wortsinn: Begrenzungen) verzichtet. Es gibt eben bei aller Bereitschaft zum Kompromiß nach innen und nach außen Grenzen, die man auf Dauer nicht ohne Schaden für die eigene Glaubwürdigkeit mißachten darf. Während die politische Linke nach dem bewährten Prinzip "getrennt marschiert" (in der PDS, bei den Grünen, in der SPD, in der linken FDP und einer Fülle von sogenannten Vorfeldorganisationen), um dann notfalls "vereint zu schlagen" und damit ihre Identität bewahrt, hat die CDU ihre einstmals aus dem "C" abgeleitete Identität längst verloren und damit auf absehbare Zeit auch die Möglichkeit, eine überzeugende Alternative zu den vom Säkularismus diktierten Entwürfen für die Zukunft unseres Volkes zu bieten. Diese Feststellung sollte allerdings ergänzt werden durch den Hinweis, daß man von einer Partei, gleich welchen Namens, nicht die Bewahrung christlicher Grundwerte erwarten sollte, die von der evangelischen Kirche und von beachtlichen Teilen der katholischen Kirche bis zur Unkenntlichkeit einer "Übersetzung" zum Opfer gefallen sind, die eine multikulturelle Gesellschaft braucht. Wie christlich also ist die CDU? Eine schlüssige Antwort vermittelt das Buch nicht, was nicht am Autor, sondern am Thema liegt. Aber auch dies ist ja eine aufschlußreiche Antwort!

 

Joachim Rogosch: Wie chrisdtlich ist die CDU? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Benno-Verlag, Leipzig 1999, 156 Seiten, Pb. 24,80 DM


 
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