© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000


Liebesentzug
von Bernd-Thomas Ramb

Mut zeigt auch der Mamelucke, lautet eine alte Weisheit der Skatspieler, die warnend darauf hinweist, daß der Spielerfolg nicht nur von einer wagemutigen Grundeinstellung abhängt. Gleiches möchte man dem frischgebackenen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurufen, wenn er sich auf das Spiel mit den Mächtigen der Wirtschaft einläßt. Den Boß der Bosse aus der Industrie, BDI-Chef Henkel, wegen seines regierungshörigen Verhaltens anläßlich der Steuerreformberatung als "mittelstandsfeindlich" abzukanzeln, ruft Respekt hervor. Den gleichlautenden Vorwurf gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Stihl, verbindet Merz sogar mit einer Auffrischung der alten Drohung, die Industrie- und Handelskammern ihres sicheren Einkommenshortes, der hoheitlichen Pflichtmitgliedschaft, zu berauben. Das Verhältnis zwischen CDU und Großwirtschaft ist angeknackst und als Schweinstreiber dieser Entwicklung vermeinen die Wirtschaftsmächtigen Friedrich Merz ausgemacht zu haben.

Inhaltlich hat der forsche Fraktionsvorsitzende zweifellos recht. Die geplante Steuerreform ist in ihren unternehmensbezogenen Passagen weder mittelstandsfreundlich noch gar mittelstandsförderlich. Das war aber auch schon in der Vergangenheit die fast traditionelle Einstellung der Regierungen. Gerade unter der Kohl-Herrschaft, von der Merz-Merkel-CDU samt Ehrenvorsitzenden am liebsten schnellstens begraben und vergessen, mußte der Mittelstand die schärfsten Dezimierungsattacken erleiden. Nun scheint eine geläuterte Partei sich ihrer urprogrammatischen Verpflichtung gegenüber dem Mittelstand reuig rückbesonnen zu haben. Aber reicht das wirklich als Erklärungsmuster für die Beweggründe aus, den tapferen Streit David gegen Goliath zu wagen?

DIHT-Präsident Stihl vermutet, die CDU leide unter dem Wahn des "Liebesentzugs". "Geldentzug" würde wohl eher den Sachverhalt treffen. Dem Enthüllungsstrudel der Spendenaffäre will gerade die Großindustrie entkommen. Einem potentiellen Brutalaufklärer wie der CDU läßt man dann um so weniger zukommen. Das trifft die ohnehin gebeutelten Parteikassen und reizt zur politischen Gegenreaktion. Noch sieht Stihl den "Parforceritt eines Einzelnen" und signalisiert Bereitschaft, die Friedenspfeife zu rauchen. Es wird sich zeigen, ob Merz einknickt oder der Fraktionsvorsitzende den Rückhalt seiner Parteifreunde findet. Die aber wissen, insbesondere seit dem Bundeswahlerfolg der SPD, ohne das Geld der Großindustrie sind Regierungsmehrheiten nicht zu erringen. Mittelstandsfreundliche Politik ist dagegen eher etwas für politische Hasardeure – oder Mamelucken.


 
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