© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wertewandel
Karl Heinzen

Jugendliche, so eines der vielen unerklärlichen Ergebnisse der gerade veröffentlichten 13. Shell-Jugendstudie, "nehmen das Lebensziel Beruf ernst und ihre Aufgabe, sich dafür zu qualifizieren und vorzubereiten, sehr genau". Sie empfinden die Familie "als emotionalen Rückhalt, als Ort von Verläßlichkeit, Treue, Häuslichkeit und Partnerschaft". In ihrem Deutschlandbild sind sie zwar nicht anfällig für Hurra-Patriotismus, aber auch nicht für Minderwertigkeitskomplexe oder negative Abwertungen. Noch dazu muß festgestellt werden, "daß auf Deutschland die Bezeichnung multikulturelle Gesellschaft nur sehr eingeschränkt zutrifft".

Die Ergebnisse dieser Studie stimmen in manchem Detail, vor allem aber in ihrem Tenor wehmütig. Die Hoffnung, die Gesellschaft dadurch verändern zu können, daß über Schulen, Universitäten und Medien ein hartnäckiger Druck auf die Heranwachsenden ausgeübt wird, gefälligst neue Werte als gültig hinzunehmen, hat sich nicht erfüllt. Das Projekt einer ganzen Generation ist damit gescheitert. Die Bequemlichkeit, lieber einen angeblich langen Marsch durch die Institutionen anzutreten, statt diese zu zerstören, hat sich gerächt. Es kann kein Trost sein, wenn einige Randfiguren der Revolte dabei sogar opportunistisch genug waren, um die Regierungsebene erreichen zu können. Rot-grün ist knapp zwei Jahrzehnte zu spät ans Ruder gekommen. Es langt vielleicht noch, um die eine oder andere vollendete Tatsache zu schaffen. Es ist aber viel zuviel Zeit vergangen, um sich in jene Ziele, die man einst zu haben vortäuschte, wenigstens noch einmal hineindenken zu können.

Da es ihnen an Vorbildern mangelt, müssen sich die Jugendlichen heute ihre Welt alleine erklären. Sie haben es schwer, dem Bild, das man von ihnen zeichnet, nicht zu ähneln, doch gelingt es immer wieder sehr vielen von ihnen, hier erfolgreich zu sein. Ihre Ablehnung vorgefundener Einstellungsmuster treibt sie dazu, gerade dort Bewährtes zu vermuten, wo ihnen eigentlich ein Wandel nahegelegt wird. Klassische Institutionen der sozialen Kontrolle haben sich verabschiedet, ohne daß neue auf den Plan getreten wären. Die Individualisierung der Jugendlichen hat aber wider Erwarten nicht dazu geführt, daß sie leichter zu beeinflussen und zu lenken wären. Ihr eigenes Urteil ist selbst dort zu fürchten, wo Herzensangelegenheiten der Gesellschaft betroffen sind, zum Beispiel bezüglich der Europäischen Integration und der Zuwanderung.

Die Generation, die heute das Sagen hat, wird damit leben müssen, daß sie nur ein Intermezzo war und schon die nun heranwachsende ihr entfremdet ist. Ihr bleibt nur die Hoffnung, daß ihr wenigstens nicht vergolten wird, was sie den eigenen Eltern angetan hat. Darauf wird sie vertrauen dürfen. Auch für einen Generationenkonflikt ist die Zeit wohl abgelaufen.


 
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