© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
Konservatismus: Ein Gespräch mit der Chefredakteurin Nadira Hurnaus
"Die Welt ist überwiegend konservativ"
Moritz Schwarz

Frau Hurnaus, Konservatismus ist in den letzten Wochen plötzlich in aller Munde. Überrascht Sie das?

Hurnaus: Ich bin erstaunt. Immerhin diskutiert das Deutschland-Magazin seit seinem Entstehen 1968 den Konservatismus, kämpft für konservative Ideen und konservative Politik, die es ständig in Gefahr sieht. Daß der Spiegel ihn jetzt auch in Gefahr sieht, ist erfreulich.

Die gegenwärtige Krise der CDU gilt aber auch als Krise des Konservatismus.

Hurnaus: Das halte ich für Blödsinn. Die Spendenaffäre und deren unprofessionelle Handhabung löste die Krise der CDU aus. Das ist richtig. Sie basiert auf dem rechtstechnischen Problem der Parteienfinanzierung. Das ist aber nicht die Krise einer Weltanschauung. Mauscheleien und Betrügereien gibt es aufgrund der widersprüchlichen rechtlichen Stellung von Parteien und Mandatsträgern seit den fünfziger Jahren in allen Parteien.

Ist die CDU also nicht weltanschaulich erschüttert?

Hurnaus: Doch, die weltanschauliche Krise der CDU manifestierte sich im Macht- und gipfelte im Kohl-Verlust: Viele hatten unter dem CDU-Übervater gelitten, viele profitiert. Das ist aber keine Kohl-Spezialität: Das war schon so unter Adenauer, Wehner, Brandt, Strauß, Schmidt, Waigel und Genscher. Das ist so unter Rau, Simonis und Gysi. Kohl mußte die gegängelte CDU von der Leine lassen. Der pubertierende Nachwuchs hat seitdem sturmfreie Bude, weiß aber nicht so recht, was er mit seiner JUNGEN FREIHEIT anfangen soll. Und die erfolgreichen großen Geschwister wie Süssmuth, Geißler, Biedenkopf oder Rühe haben viel zuviel mit sich selbst zu tun, um sich mit Selbstfindungsproblemen der Teenies herumzuschlagen.

Die Krise der CDU ist also keine Krise des Konservatismus. Ist der Konservatismus nicht dennoch in Frage gestellt?

Hurnaus: Ganz klar "Jein"! Wenn eine Gesellschaft oder ein Staat nicht gerade in einer Restaurationsphase sind, ist die konservative Weltanschauung immer in der Krise. Natürlich kann ich wie Sloterdijk und Baring behaupten, ganz Deutschland sei konservativ: "Im Parlament sitzen fünf konservative Fraktionen, die dabei alle irgendwie sozialdemokratisch sind." Oder: "Die Deutschen sind stockkonservativ, auch in den politischen Lagern, die sich in progressiven Vokabeln gefallen." Natürlich ist die PDS konservativ, will sie doch ihre tradierten kommunistischen Ideen bewahren und ihre eigene Macht. Natürlich sind die Sozialdemokraten konservativ, wollen sie doch die Gleichheit vor der Freiheit bewahren und ihre eigene Macht. Natürlich ist die FDP konservativ, will sie doch den Besitzstand ihrer schwindenden Klientel bewahren und ihre eigene Macht. Natürlich ist die Union konservativ, will sie doch die Freiheit vor der Gleichheit bewahren und ihre eigene Macht.

Schön und gut. Doch wo ist die Krise?

Hurnaus: Zu bewahren, um zu profitieren ist nicht der Kern der konservativen Weltanschauung. Die Maximen eines Konservativen im christlichen Abendland sind idealerweise die zehn Gebote, auf denen auch das deutsche Grundgesetz basiert. Und da krankt es bei allen Parteien. Als Beispiel möchte ich nur die Kritik der bayerischen CSU-Ministerin Bärbel Stamm am Ausstieg der katholischen Kirche aus der Scheinberatung nennen. Wenn man irgendwo den Hort des Konservativen vermutet, dann ist das die CSU in Bayern. Und selbst diese will nicht mehr Leben schützen. Da fragt es sich, wofür das große "C" wie christlich steht.

Glauben Sie also, die C-Parteien vertreten keine konservativen Werte?

Hurnaus: Sie vertreten sie nur noch partiell. Die meisten haben keinen Bezug zum Christentum. Sie glauben nicht mehr an Gott. Doch nicht nur Deutschland und nicht nur die Christen werden immer säkularer: Nur noch 30 Prozent der europäischen, amerikanischen und israelischen Bevölkerung sind gläubige und praktizierende Katholiken, Anglikaner, Protestanten oder Juden. Wir achten Gott nicht mehr, wir achten das Leben nicht mehr. Erzbischof Dyba formulierte das so: "Die dauernde Favorisierung unfruchtbarer Lebensentwürfe schafft kein Leben für die Zukunft."

Wie definieren Sie nun Konservatismus?

Hurnaus: Es gibt verschiedene Formen des Konservatismus. Das Deutschland-Magazin hängt weder einem restaurativen noch einem reaktionären Konservatismus an. Wir vertreten vielmehr einen evolutionären Konservatismus, der versucht, neue Ideen und Tatbestände in Kultur, Gesellschaft und Staat der geschichtlich gewachsenen Grundordnung anzupassen oder sie zu integrieren und so weiterzuentwickeln. Dazu gehören Religion, Demokratie und Föderalismus. Wir verstehen uns als liberal-konservativ. Wir wollen weiterentwickeln, fortschreiten, keinen Rückschritt.

Welchen Beitrag wollen Sie mit Ihrer Publikation leisten?

Hurnaus: Wir greifen Themen auf, über die gar nicht oder nur in einem Ton gesprochen wird, den wir nicht gutheißen. So haben wir über Abtreibung berichtet oder über Burschenschaften. Wir unterstützen und begleiten Politiker, die in unserem Sinne denken und handeln. Wir versuchen aufzudecken, wo es krankt, und den Finger in die Wunde zu legen. Als Monatsblatt können wir nicht aktuell sein, aber wir wollen Basisarbeit leisten, Hintergründe und Zusammenhänge deutlich machen. Und nicht zuletzt unseren LesernArgumentationshilfe bieten, wenn sie, wie in der Kohlaffäre, nicht mehr weiter wissen.

Was wollen Sie mit dem Namen "Deutschland-Magazin" ausdrücken?

Hurnaus: Der Name ist Programm. 1967 gründete Kurt Ziesel unter dem Patronat Konrad Adenauers zunächst die Deutschland-Stiftung und dann das Deutschland-Magazin. Es herrschte kalter Krieg. Stiftung und Magazin standen und stehen gegen Kommunismus und für die deutsche Einheit.

Steht Ihre Zeitschrift nicht zu Recht in dem Ruf, ein Kohl-Jubelblatt zu sein, ein Teil des "System Kohl"?

Hurnaus: Ja, denn Kohl hat immer an der Idee der deutschen Einheit festgehalten und sie schließlich auch erreicht. Wir kämpften an der gleichen Front. Unsere wichtigsten Ziele waren die gleichen. Das hat uns aber nicht daran gehindert, das zu kritisieren, was wir für falsch hielten, wie die Erweiterung des Paragraphen 218 oder die unreflektierte Versöhnung mit Tschechien.

Sind aber nicht genau dies die Prüfsteine eines wertebewußten Konservatismus? Der konservative Publizist Caspar von Schrenck-Notzing äußerte unlängst in der JF, Kohl habe aus völliger Ideenlosigkeit und dem einzigen Interesse des Machterhaltes konservative Positionen bereitwillig aufgegeben.

Hurnaus: Ich erinnere mich, daß 1996 in der Frage der Versöhnung mit Tschechien engagierte prominente Unionsleute vergeblich versuchten, Kohl umzustimmen. Er reagierte auf ihre eindringlichen Appelle einfach nicht. Gegen Ende seiner Regierungszeit schien er nur noch am Bau seines europäischen Hauses interessiert gewesen zu sein. Um viele wichtige innenpolitische Fragen schien er sich zunehmend nicht mehr zu kümmern, überließ die Entscheidung linken Unionsleuten, gab also konservative Positionen auf.

Wenn man die letzten Ausgaben des Deutschland-Magazins durchblättert, dann ist eine Distanzierung vom "System Kohl" und eine Neupositionierung Ihrer Zeitschrift nicht zu übersehen. Sie sind kritischer geworden?

Hurnaus: Als ich 1999 die Redaktion übernahm, ging die gesamte alte Riege in den Ruhestand. Damit hatte sich das Durchschnittsalter halbiert, eine "neue" Generation war angetreten. Es gab Zeiten, in denen das Deutschland-Magazin unter den Anschlägen und Anfeindungen der Antifa gelitten hat, in denen es mit dem Spiegel gestritten hatte, in denen es Thema im Bundestag war. Diese Erfahrungen haben die alten Kollegen geprägt und vorsichtig gemacht. Doch diese Erfahrungen habe ich nicht gemacht. Vielleicht sind wir heute unbefangener. Und – da ohne Kriegserfahrung – unbelasteter.

Inzwischen schreibt Ihr Magazin, Kohl und "seine Seilschaften" hätten durch "finanzielle Gunstbeweise" die "Macht in der Partei oligarchisiert". Damit hat Kohl doch eine lebendige konservative Basis trockengelegt?

Hurnaus: Nicht das Deutschland-Magazin, sondern ein freier Mitarbeiter schrieb das. Das ist ein kleiner Unterschied. Davon abgesehen: Sind Sie sicher, daß die Basis, von der Sie behaupten, sie sei mit Geld trockengelegt worden, wirklich so lebendig war? Was mich bei dieser Diskussion stört, ist das Rückwärtsgewandte. Die Suche nach einem Schuldigen. Denn wenn man einen Schuldigen gefunden hat, kann man ja nicht selber schuld sein. Zum konservativen Wertekanon gehört auch Anstand. Und ich halte es nicht für anständig, alle vergangenen Fehler auf ein Schlagwort zu reduzieren, auf das "System Kohl". Ist es nicht wichtiger, sich für die Zukunft einzusetzen?

Welches sind die Werte, die es zu erneuern gilt? Sie hatten zum Beispiel vorrangig die Ehrfurcht vor dem Leben genannt ?

Hurnaus: Ja, und dabei geht es ja nicht nur um die Frage der Abtreibung.Das Zunehmen der Abtreibungen ist noch gar nicht der Kern des Problems, die Tragweite dieses fatalen Denkens reicht viel weiter: Wir verlieren das Bild des Lebens selbst. Die Idee eines lebendigen Lebens, also eines fruchtbaren Lebens ist zugunsten der Vorstellung des Lebens als Verfügungsmasse persönlichen Glücks aufgegeben worden. Wir wollen nicht mehr heiraten, wir akzeptieren nicht mehr den gesellschaftlichen Vorrang der Ehe. Aber auch wenn wir nicht heiraten, möchten wir deren gesellschaftlichen und finanziellen Vorteile in Anspruch nehmen.

Wie kann der Konservatismus politisch wieder Fuß fassen?

Hurnaus: Wenn ich das wüßte, würde ich in die Politik gehen. Ich bezweifle allerdings, daß es mittels eines Regierungs- oder Parteiprogramms geschen kann. Ich glaube, daß die westliche Zivilisation irgendwann ihrer Pseudoideale überdrüssig werden wird und wieder nach einem tieferen Sinn des Lebens, nach Gott suchen wird.

Ist dieser Umschwung in absehbarer Zeit zu erwarten?

Hurnaus: Ich wage nicht zu spekulieren. Ich glaube einfach daran.

Wird die politische Wende aus der Union kommen, oder aus einer künftigen Partei rechts von der Union?

Hurnaus: Vielleicht kommt der Anstoß gar nicht aus Deutschland. Bedenken Sie, daß die verbreitetste Religion gegenwärtig der Islam ist. Und der ist sehr konservativ. Die Welt ist überwiegend konservativ.

 

Nadira Hurnaus, geboren 1960 in Amman, Jordanien, Tochter des 1996 verstorbenen ehemaligen Regierungssprechers Hans "Johnny" Klein (CSU). Hurnaus studierte Politik, Geschichte, Englisch und Völkerkunde. Als Frau eines Diplomaten lebte sie in Irland, Liberia und China. Seit 1979 schreibt sie für das "Deutschland-Magazin" und leitet seit 1999 die Chefredaktion. Die Mutter von drei Kindern lebt heute in Bernau am Chiemsee.

 

Deutschland-Magazin: Wandel eines Blattes

Herausgetreten aus dem langen Schatten des Großkanzlers Kohl ist das kleine Deutschland-Magazin. Der journalistische Arm der von Kurt Ziesel ins Leben gerufenen Deutschland-Stiftung hat sich in den letzten zwei Jahren stark verändert. Die finanziellen Einbußen seit dem Abtreten der Regierung Kohl 1998 haben der Zeitschrift offenbar zu mehr Eigenständigkeit verholfen. Zuvor war das Deutschland-Magazin Werbeträger unionsnaher Unternehmen und wurde von der CDU subventioniert, um als Sprachrohr des konservativen Unionsflügels zu funktionieren. Zu einem Eklat kam es 1994, als Helmut Kohl von der Deutschland-Stiftung der Konrad-Adenauer-Preis verliehen werden sollte. Kohl übte Druck auf Ziesel aus, den angekündigten Laudator Gerhard Löwenthal wegen dessen geplantem Wahlkampfauftritt beim kohlkritischen BFB auszuladen. Ziesel gab diesem Druck nach – ein Beispiel für das System Kohl, das die Konservativen an die Leine legte.

Seit 1999 gibt Chefredakteurin Nadira Hurnaus das Monats-Magazin mit einer bunten Mischung aus Information und Meinung auf 54 Seiten heraus. Tagespolitisch orientiert, will das Heft dem christdemokratischen Konservatismus eine Argumentationshilfe bieten. Bekannte Autoren wie Otto von Habsburg, Klaus Hornung, Klaus Rainer Röhl, Konrad Löw oder Christa Mewes greifen für das Heft (Verlag Deutschland-Magazin, Postfach1263, 83209 Prien) zur Feder.

 

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