© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Geschichtsloser Minister
von Carl Gustaf Ströhm

Die Nachricht kommt angesichts des allgemeinen Seelenzustandes der Republik nicht unerwartet: Außenminister Josef Fischer soll die Entfernung des traditionellen Bismarck-Bildes aus seinen Amtsräumen verfügt haben. Zugleich, so hört man, hat sich der deutsche Außenminister an die Demontage eines seiner Vorgänger gemacht, der in der Weimarer Republik als Reichsaußenminister Weltruhm errang, weil es ihm gelang, das besiegte Deutschland aus seiner Isolation herauszuführen. Die Rede ist von Gustav Stresemann, dem bedeutendsten deutschen Außenminister im vergangenen Jahrhundert. Sowohl Bismarck wie Stresemann sind Fischer offenbar suspekt, weil sie deutsche "Großmachtpolitik" betrieben.

Nun könnte man getrost fragen: Welche Politik hätten sie denn sonst betreiben können, wenn Deutschland – das Deutsche Reich – damals unzweifelhaft eine Großmacht war, selbst nach der militärischen Niederlage von 1918 und dem Versailler Vertrag? Aber historische Exkurse führen bei einem Minister, der sich seine Sporen nicht im Historischen Seminar, sondern am Pflasterstrand von Frankfurt und bei Straßenschlachten verdient hat, wahrscheinlich nicht sehr weit. Weitaus schlimmer als der Kahlschlag des grünen Ministers ist die Apathie der politischen Mitte. Wo sind die Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP, die diese Hauspolitik des Außenministers zumindest "hinterfragen", wenn nicht kritisieren? Die Geschichts- und damit Orientierungslosigkeit – sie ist das eigentlich Bedenkliche an diesem Vorgang.


 
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