© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Christoph Stölzl
Auf dem Schleudersitz
Von Hans-Jörg von Jena

Kurz vor seinem Abgang hat der bisherige Welt-Feuilletonchef der Berliner Kultur noch einen Bärendienst geleistet. Er ließ zu, daß das Berlin-Feuilleton in den Lokalteil des Blattes verbannt wurde. Folglich kommt es seit Monatsanfang nur noch den ortsansässigen Lesern zur Kenntnis. Die Hauptstadtkultur als Provinzneuigkeit? Christoph Stölzl wird diese Wertigkeit umdrehen müssen, sobald er am 13. April zu Berlins neuem Kultursenator gewählt ist. Nicht weniger Kultur, sondern mehr; nicht provinzielles Gleichmaß (auch wenn es noch so oft als "föderale Vielfalt" schöngeredet wird), sondern Metropolenrang und -glanz muß sein Ziel sein.

An seiner Intelligenz und Musennähe zweifelt niemand. Der liebenswürdige, vielseitig interessierte Mann gilt als "umtriebig". Seine Personalkenntnis ist enorm. Er wird sie im Umgang sowohl mit der Kulturszene wie mit den politischen Machern der Hauptstadt brauchen können. Stölzl gehört jedenfalls zu der seltenen Spezies, die über Parteigrenzen hinweg geschätzt wird. Viele Feuilletons und Intendanten haben ihn förmlich herbeigerufen, herbeigeschrieben.

Der 55jährige hat sich seine Sporen in München verdient. Dort studierte er Geschichte, Literaturgeschichte und Soziologie, dort war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bayerischen Nationalmuseum und von 1976 bis 1980 in gleicher Funktion an den Universitäten tätig. 1980 übernahm er die Leitung des Münchner Stadtmuseums. Der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker beauftragte ihn 1982, das Konzept für ein "Deutsches Historisches Museum" auszuarbeiten. Für die Leitung dieser neuen Institution wechselte Stölzl 1987 nach Berlin.

Zwölf Jahre an der Spitze des Deutschen Historischen Museums: das war eine Aufgabe, bei der es weit mehr auf Phantasie und Einfallsreichtum als etwa auf Beharrungsvermögen ankam. Als Stölzl begann, durfte er auf den Neubau Aldo Rossis im Spreebogen (wo jetzt das Kanzleramt entsteht) hoffen. Nach der Wende zog er ins Zeughaus. Dort war das DDR-Museum für deutsche Geschichte durch Bestände und Ausstellungen zu ersetzen, die nicht ideologisch verengt und vorgeprägt waren. Bravourös und diplomatisch hat Stölzl diese Aufgabe gelöst. Daß er 1997 und 1998 bei seiner Bewerbung um die Präsidentenschaft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am parteipolitischen Patt im Stiftungsrat scheiterte, daß er zur Welt wechelte: beides dürfte sich als Episode in seiner Karriere herausstellen.

Sein Erfolg im neuen Amt ist nicht vorherzusagen. Für das schwierige Feld der Wissenschaft und Forschung kann er kaum mehr als den Paradiesvogel spielen. Vor allem aber: er hat keine parteipolitische Basis, keine "Hausmacht". Schon donnern die mächtigen Haushälter und Buchhalter: mehr Geld gibt‘s nicht, Eintrittspreise werden erhöht, Theater zugemacht. Schöne Aussichten. Trotz aller publizistischen Vorschußlorbeeren kann Christoph Stölzl daran schnell zuschanden werden.


 
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