© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Rüttgers Kampf mit Indien
Einwanderung: Vor der Landtagswahl in NRW will die CDU rechte Wähler ansprechen
Alexander Schmidt

Wer siegen will, wird siegen", verkündete der Landesvorsitzende nordrheinwestfälischen CDU, Jürgen Rüttgers, im vergangenen Jahr, um seine Schäfchen nach der verlorenen Bundestagswahl wieder zu einen. Sein Lehrmeister heißt Roland Koch, den die Ohnmacht der Bevölkerung – kanalisiert in einer Unterschriftenkampagne gegen die umstrittene Neufassung des Staatsbürgerschaftsrechts – in den Sitz des hessischen Ministerpräsidenten spülte.

Rüttgers setzt bis zur Landtagswahl am 14. Mai auf die plakative Formel "Kinder statt Inder" und entsprechende Postkarten, mit der er, bisher für moderate Töne bekannt, landesweit seinen Bekanntheitsgrad steigerte und beim Wahlvolk beliebter wurde. Zurückgeschlagen haben einzig die Bündnisgrünen, die der CDU-Zentrale in NRW mit einer Gegenaktion unter dem Motto "E-Mail statt Postkarte" die Online-Briefkästen zum Überlaufen brachten.

Seine Kampagne richtet sich gegen die geplante Anwerbestrategie der Bundesregierung von indischen Spezialisten in der Informationstechnologie. Nur weiß seine Partei nicht so recht, ob sie über sein umstrittenes Wahlkampfmotto lachen oder weinen soll. Während er von Mentor Roland Koch, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Friedrich Merz, und anderen Unionskonservativen gestützt wird, haben unter anderem der Hamburger CDU-Vorsitzende Dirk Fischer und der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer die Kampagne kritisiert.

Die designierte Parteichefin Angela Merkel hält sich bedeckt bis distanziert. Es liege in der Verantwortung des Spitzenkandidaten, wie er seine Wahlkampfkampagne führe, sagte sie dem Tagesspiegel. Rüttgers, so Merkel weiter, habe den Schwerpunkt Bildung gewählt, und auf der Postkarte steht nicht mehr "Mehr Kinder als Inder", sondern "Ausbildung statt Zuwanderung" Daraufhin sprach sich Merkel, wie viele andere Vertreter der Union, darunter der hessische Justizminister Christian Wagner für ein Zuwanderungsmodell aus, das auch aus Kreisen der Liberalen favorisiert wird. Damit gewinnt Rüttgers‘ Wahlkampfidee eine Parallele mehr mit der Doppelpaß-Kampagne der Union im vergangenen Sommer, bei der letztlich auch das FDP-Modell als Kompromiß angenommen wurde. Indirekte Hilfe bekommt der angegriffene Jürgen Rüttgers von der Arbeiterschaft. Der IG-Metall Vorsitzende Klaus Zwickel kritisierte die Kampagne der Bundesregierung und bezeichnete sie als "Rote Karte für Arbeitslose". In der aktuellen Ausgabe des Verbandsorgans Metall schreibt Zwickel von 31.840 EDV-Fachleuten, die derzeit in Deutschland Arbeit suchten. Gleichzeitig merkte er an, daß es nur an qualifizierten Arbeitskräften mangele, weil die Industrie Weiterbildungsmaßnahmen aus Kostengründen ablehne. "Und Inder kriegt man für das halbe Geld", so Zwickel.

Aus Kreisen der Industrie heißt es inzwischen, daß die Bundesrepublik auf Einwanderung angewiesen sei. "IBM braucht 7.000 Fachkräfte", sagte der Chef des Computerkonzerns, Erwin Staudt. Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, forderte sogar unbefristete Green Cards. Weil die Wirtschaft nicht genügend Nachwuchs ausgebildet habe, so Rüttgers Vorwurf an Henkel und Co., verlangt sie nun nach ausländischen Arbeitskräften. "Sie sollte ihrer Verantwortung bei der Ausbildung junger Menschen besser nachkommen, als neue soziale Probleme zu importieren", so Rüttgers weiter.

In die Diskussion platzt eine UN-Studie. Dort heißt es, Deutschland brauche jährlich 458.000 Zuwanderer, um den Bestand der erwerbstätigen Bevölkerung zu erhalten. Bei einer konstanten Zuwanderung auf dem derzeitigen Niveau würde die Bevölkerung in den nächsten 50 Jahren auf 73 Millionen sinken. Ganz ohne Einwanderung, heißt es in der Studie weiter, könnte das derzeitige Rentenniveau nur bei einem Renteneintrittsalter von 77 Jahren gehalten werden.

Während nach derzeitigen wirtschaftlichen Standpunkten eine Einwanderung unvermeidlich scheint, spricht Rüttgers auch die Frage der Integration einer neuen Bevölkerungsgruppe, der Hindus, an. "Die Aufnahmefähigkeit ist erschöpft", zitiert er Schröder, Schily oder Schmidt – und wird wie Haider ausgegrenzt. Statt immer neue Ausländer ins Land zu holen, heißt es in dem von ihm verfaßten Papier weiter, müssen wir die hier rechtmäßig und dauerhaft lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft integrieren.

Die Lösung, und hier zeigt Schröders Regierung Kontinuität, wird irgendwo unerkennbar in der Mitte liegen. Wer davon ausgeht, daß bis Ende des Jahres ein großzügig gefaßtes Zuwanderungsgesetz präsentiert wird, in dem auch Kontingente für Asylsuchende vorhanden sind, liegt möglicherweise nicht falsch.


 
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