© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Kommunismus plus Nationalismus
Rußland: Eduard Limonow, Gründer der Nationalbolschewistischen Partei, über Putin, russische Grenzen und Deutschland
Heimo Schwilk

Herr Limonow, ist Putin, der mit absoluter Mehrheit zum neuen Staatspräsidenten Rußland gewählt wurde, auch für Sie der neue starke Mann?

Limonow: Man verkauft ihn nur als solchen. Der ehemalige KGB-Offizier ist fast ein Demokrat, ein Schwächling und Handlanger. 1990 war er in eine St. Petersburger Korruptionsaffäre verstrickt. Er sollte für Bürgermeister Anatoli Sobtschak Lebensmittel ankaufen. Am Ende gab es keine Lebensmittel, und das Geld war auch weg. Dies ist nur eine von vielen unrühmlichen Geschichten, die ich von Putin erzählen könnte.

Warum ist er dennoch so populär?

Limonow: Man hält ihn für einen Durchschnittsrussen, der besonders im Fall Tschetschenien das Richtige tut. Das Vorgehen unserer Truppen gegen die Tschetschenen wird ja von der überwältigenden Mehrheit der Russen für gut befunden. Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende, und mit der Popularität ist das so eine Sache. Ich denke, daß der Krieg so, wie er jetzt geführt wird, auf lange Distanz nicht zu gewinnen ist. Wir haben auf diese Weise schon einmal einen Krieg in Tschetschenien verloren. Unsere Generäle sind eher dafür ausgebildet, große Schlachten zu schlagen. Aber der Krieg, den das Bergvolk der Tschetschenen führt, ist ein Partisanenkrieg. Davon verstehen unsere Militärs kaum etwas. Keine Armee der Welt ist auf einen echten Partisanenkrieg vorbereitet. Auch die Amerikaner haben Somalia bald wieder verlassen. Im Grunde ist dieser Krieg kein militärisches, sondern ein politisches Problem. Die Kriegführung ist in einem gewissen Maße abhängig von der öffentlichen Meinung in Rußland. Sie zwingt die Machthaber zu halbherzigem Vorgehen. Deshalb die zahlreichen Waffenstillstände, Teil-Offensiven und Offensiven.

Wie würden Sie an Putins Stelle im Tschetschenien-Konflikt handeln?

Limonow: Es gibt zwei Lösungen. Erstens, den Krieg im ganzen Land mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unter Inkaufnahme schwerer eigener Verluste zu Ende zu führen und Tschetschenien auszulöschen. Danach müßten wir das Land aber wieder aufbauen. Zudem bliebe das Problem der über ganz Rußland verstreuten tschetschenischstämmigen Staatsbürger, die mit ihrer kriminellen Energie eine permanente Bedrohung darstellen würden. Die zweite Möglichkeit, die ich persönlich für die bessere halte, ist, Tschetschenien in die Unabhängigkeit zu entlassen und unsere Truppen heimzuholen. Dann hätten wir die Möglichkeit, die in Rußland lebenden Tschetschenen innerhalb von 48 Stunden hinauszuwerfen.

Befürchten Sie im Falle einer Entlassung Tschetscheniens aus der Russischen Föderation nicht einen Dominoeffekt?

Limonow: Nein. Die Tschetschenen sind ein ganz besonderer Schlag. Es gibt in der Föderation keinen vergleichbaren Fall mehr.

Seit Afghanistan und Tschetschenien ist der Mythos der Unbesiegbarkeit, der Rußland seit dem Zweiten Weltkrieg anhaftet, zerbrochen. Wollte Putin mit einem Sieg in Grosny das nationale Selbstbewußtsein stärken?

Limonow: Rußland ist nicht unbesiegbar. Wir wurden 1905 in Fernost von den Japanern und 1940 von den Finnen geschlagen. Im Großen Vaterländischen Krieg 1941–45 gegen die Deutschen waren wir dann wieder erfolgreich. Aber der Westen – das ist gewiß – wird Rußland nicht in die Knie zwingen können.

Ist Rußland nicht schon längst vom Westen abhängig? Denken Sie nur an die Milliarden-Kredite des Internationalen Währungsfonds.

Limonow: Wir haben uns selbst besiegt. Die Schuld daran trägt die prowestliche Elite Rußlands. Sie hat vom Westen das maßlose Profitstreben übernommen. Der Kapitalismus aber ist dem russischen Wesen zutiefst fremd. Deshalb trifft es auch nicht zu, wie im Westen oft behauptet wird, daß die Sowjetmacht den Russen das Arbeiten abgewöhnt hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kommunisten glorifizierten die Arbeit und umgaben sie mit der Aura des Heldentums. Wir glauben vielmehr, daß die Stärke des russischen Volkes in der Bereitschaft zu Idealismus und Selbstaufopferung liegt. Der russische Mensch braucht den Kampf. Ich sehe es als ein gutes Zeichen an, daß sich das Land seit der Finanzkrise im August 1998 allmählich wieder vom Kapitalismus entfernt. Der westliche Einfluß geht schrittweise zurück.

Befürchten Sie als Nationalbolschewist, daß der Nationalstaat von der Globalisierung überrollt werden könnte?

Limonow: Die Globalisierung findet in Rußland täglich statt. Schauen Sie sich nur unsere Medien an. Aber der Prozeß verläuft nicht zwanghaft, wie die Geschichte lehrt: Peter der Große beispielsweise hat von Westeuropa nur das übernommen, was er für nützlich hielt. Die Weltmacht Rußland hat er dann nach eigenen Maßstäben geformt.

Ihre Partei wird massiv bekämpft. Wie erklären Sie sich das aggressive Vorgehen gegen Ihre Partei?

Limonow: Natürlich sind wir Revolutionäre. Wir vereinigen Kommunismus und Nationalismus, die untrennbar zusammengehören. Das Ziel unserer Organisation ist es, die herrschende politische und ökonomische Klasse zu beseitigen. Hierzu werden tiefe Einschnitte erforderlich sein. Die alte Nomenklatur, die die ökonomische Macht an sich gerissen hat, liegt wie ein Schimmelpilz über dem Land.

Was sind die wichtigsten Punkte Ihres Programms?

Limonow: Wir wollen an die Macht. Danach werden wir den Reichtum der Kapitalisten auf das notleidende Volk umverteilen. Das Elend außerhalb der großen Städte ist unvorstellbar. Desweiteren müssen die Grenzen Rußlands neu gezogen werden. Russisch besiedelte Gebiete, wie Ost-Estland oder Nordkasachstan, müssen zurückgeholt werden.

Mit dem Nationalbolschewismus verbindet man in Deutschland – denken Sie an den Vertrag von Rapallo – eine Achse Berlin-Moskau. Was für eine Rolle spielen die Deutschen im außenpolitischen Kalkül des Eduard Limonow?

Limonow: Für uns ist Deutschland längst nicht mehr, was es einmal war. Heute ist Ihr Land ein Vasall unseres Hauptfeindes, der Vereinigten Staaten. Es geht nur um Profit und Konsum. Unsere wahren Verbündeten sitzen im Osten, in Asien. Zudem betreibt Deutschland die Zersplitterung Rußlands, indem es von uns abgefallene Staaten, wie die Ukraine, unterstützt. Aber vielleicht wird es auch im Westen einmal anders. Ich denke, daß auch bei Ihnen immer mehr Menschen den Zusammenhang von Kapital und Korruption in der Demokratie begreifen.

In welchen Zeiträumen denken Sie?

Limonow: Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Nur eines ist gewiß: Der Westen wird früher oder später kollabieren, und wir werden unsere Revolution verwirklichen. Denn unsere Bewegung hat die Jugend. Und wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft.

 

Eduard Limonow, 1943 geboren, war bis zu seiner Emigration nach New York 1974 als Lyriker in der russischen Untergrundliteratur (Gruppe "Konkret") aktiv. Von New York wechselte er 1983 nach Paris und erwarb 1987 die französische Staatsbürgerschaft. 1992 kehrte er nach Moskau zurück und gründete die Nationalbolschewistische Partei Rußlands (NBP), eine von mehreren kommunistischen Gruppierungen im postsowjetischen Rußland. Sie soll rund 10.000 meist jugendliche Aktivisten umfassen. Zur Duma-Wahl wurden die Nationalbolschewisten wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht zugelassen.

 

Heimo Schwilk, 49, ist Chefkorrespondent der "Welt am Sonntag".

 

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