© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
CD: Satire
Türkenwitz
Frank Philip

Das betont proletenhafte Verhalten junger Türken der dritten Gastarbeitergeneration und ihrer Ghetto-Freunde, ihre Sprache, ihre Kleidung und nicht zuletzt ihr Ehrenkodex sind häufig Gegenstand soziologischer Untersuchungen. Solche wissenschaftlichen Arbeiten über die Hintergründe dieser Selbstdarstellung als "Outlaws" lesen sich leider meist recht trocken, und die Segnungen der Forschung erreichen nur einen relativ kleinen Kreis von Sozialarbeitern oder Bewährungshelfern. Die breite Öffentlichkeit weiß wenig von der schönen neuen Subkultur.

Einblicke in die Welt der multikulturellen Gesellschaft liefern Erkan & Stefan, zwei junge Münchner Komiker, auf ihrer neuen CD "Planet Döner". Eine volle Stunde "krasse Lüricks" entführt den Hörer in die "bunte, krasse und ehrliche Hood" der beiden Freunde mit dem Wunsch nach immer mehr Döner, dem "Respekt-Imbiß". Die geistigen Koordinaten der jungen Männer sind die "voll ends-krass-korrekten Bunnies" (Mädchen), der unvermeidliche "brontal" tiefergelegte BMW und der Traum vom eigenen Import-Export ("Gibst Du keine Garantie, das ist der Trick"). Ist das alles denn erlaubt, die Klischees – denn nur um solche, weiß der aufgeklärte Zeitgenosse, kann es sich ja handeln – durch miese, letztlich latent ausländerfeindliche, als Satire getarnte Propaganda zu bestätigen?

Jeder Türkenwitz sei politisch korrekt im Vergleich zu Erkan & Stefan, urteilte schmunzelnd eine Zeitungskritik. Es scheint, die beiden "Checker" wundern sich selbst über ihren "fett krassen Werdegang": Seit 1994 machen sie Radiosendungen, drei Jahre später erschien die erste CD "Die Hart". Seit vorigem Jahr gibt es wöchentliche Nachrichten aus der "Hood" auf Bayern 3, und in Kürze kommt der erste eigene Film von Erkan & Stefan in die Kinos.

Zum Inhalt von "Planet Döner": Die beiden Helden Erkan "Maria" Moosleitner und Stefan Lust, sein blondes alter ego, arbeiten zur Aushilfe in "Eckis Falafel-Eck", der "konkretesten Dönerbude diesseits des Bosporus". Über der "Hood" liegt ein "Porno-Sonnenaufgang", als Erkan & Stefan mit dem Auto ihres Arbeitgebers in den Laden krachen. Der Döner Spieß fliegt in die Palette Red Bull und erhält so ein völlig neues Aroma. Die "neue Kombi" schmeckt gut und wird zum Renner im Falafel-Eck. Das gibt "Respect und Credits" von allen.

Der einzige Deutsche auf "Planet Döner", der auch akustisch noch als solcher erkennbar ist, ißt kein Döner, er ist "Laktoveganer". "Hast Du mal ‘ne Mark", fragt er, dann will er zwei (wegen der Euro-Umstellung) und beim dritten Mal steigert er sogar auf drei Mark. ("Ey sorry Mann, ich tu’ nur meinen Job"). Erkan & Stefan überzeugt diese linksalternative Geschäftsidee auf Anhieb, aber sie müssen weiter Döner braten. Am Ende des erlebnisreichen Tages haben die beiden genau 630 Mark eingenommen.

Erkan Moosleitner und Stefan Lust spielen den türkischen bzw. wahltürkischen Jungproleten mit Leidenschaft. Psychologisch differenziert malen sie das Bild desorientierter Gelegenheitsarbeiter aus Hasenbergl und Neuperlach, Stadtvierteln mit hohem Ausländeranteil. Die Erziehung der Kinder hat der Fernseher übernommen, mit Kickboxen verschafft man sich Respekt in der "Hood". Die komplexe, moderne Welt ist voller Wunder und Rätsel. Als letzter Ausweg bleibt für die perspektivlosen Jugendlichen der Konsumismus.

Nicht nur witzig, sondern auch lehrreich ist die CD. Die Kultusminister sollten überlegen, statt teurer Lehrbücher für tote Sprachen endlich aussagekräftiges Material zu der immer lebendigeren Mischsprache Türk-Deutsch anzuschaffen. Wer braucht heute in Vierteln wie Hasenbergl oder Neuperlach noch klassische Bildung? Hat Stefan auf der "Abitur-Schule" etwas fürs Leben gelernt? Zum Beispiel Dönertier-braten? Fehlanzeige.


 
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