© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Einklang mit der Natur
Kino: "Grey Owl" von Richard Attenborough
Claus-M. Wolfschlag

Richard Attenborough ist ein Urgestein der Filmwelt. 1923 in Cambridge geboren, startete er nach dem Zweiten Weltkrieg eine beispielhafte Karriere als Schauspieler und Regisseur. Zu seinen großen Erfolgen gehören das 1982 gedrehte Epos "Gandhi" und "In Love and War" über das frühe Leben Ernest Hemingways. Nun hat sich Attenborough einer neuen Film-Biographie angenommen. Dabei herausgekommen ist ein Meisterwerk.

Archie Grey Owl (Pierce Brosnan) haust im Kanada der 1930er Jahre als einsamer indianischer Trapper und Jäger. Jedes Jahr verbringt er lange Monate in einer Berghütte. In den Wäldern Quebecs und des nördlichen Ontario lebt er vom Verkauf erbeuteter Biberfelle, von diversen Jobs als Jagdführer für wohlsituierte Kanadier und von gelegentlichen Artikeln für das britische Magazin Country Life.

Für seine geschäftlichen Beziehungen sucht Grey Owl des öfteren eine nahegelegene Ortschaft mit Jagdhotel auf, die als Anziehungspunkt für naturhungrige weiße Touristen dient. Anahareo (Annie Galipeau), eine Kellnerin indianischer Herkunft, nimmt dort Kontakt zu dem zwanzig Jahre älteren Trapper auf und schlägt ihm vor, sie mit in sein Winterquartier zu nehmen. Jenseits der für die Touristen gestellten Schauspiele indianischer Tanzgruppen und der Assimilationsbestrebungen ihres Vaters möchte die junge Frau auf diese Art die ursprüngliche Lebensweise ihrer Volksgruppe wiederentdecken. Die Traditionen der Ahnen reizen sie stärker als die materiellen Anreize der Einwanderungsgesellschaft. Obwohl Grey Owl sich anfangs starrköpfig zeigt, folgt ihm das Mädchen aus freien Stücken in dessen einsame Blockhütte. Unvorbereitet auf die Härte des Winters in Nordkanada, muß Anahareo dort zahlreiche Prüfungen bestehen. Zunehmend wächst dabei das zärtliche Liebesband zwischen der bis zur Erschöpfung wißbegierigen Mohawk-Frau und dem Trapper, dessen magnetischer Charakter zugleich anzieht wie durch seine Unnahbarkeit abstößt. Vieles lernt Anahareo von ihrem Meister, doch auch dieser verändert sich unter der warmen Seele der Frau. Er erkennt, wie weit er selber sich bereits vom Einklang mit der Natur entfernt hat. Tötete ein Indianer einst nur für seinen eigenen Bedarf, so war das Massentöten von Bibern erst möglich, weil die Weißen für die Felle zahlten. Grey Owl ändert schließlich, trotz schwieriger finanzieller Durststrecken, seine Einstellung und entdeckt eine neue Liebe zur gefährdeten Umwelt.

Der hierbei bewußt gewordene innere Konflikt hat allerdings weniger mit "weiß" oder "rot" zu tun, sondern eher mit der Arbeitsteilung in der Massengesellschaft. Massen brauchen Nahrung und Kleidung. Und da spätestens seit der Industrialisierung sämtliche Produktion und jeglicher Handel in effektive arbeitsteilige Prozesse untergliedert ist, liegt es nahe, daß immer einige wenige die Drecksarbeit machen müssen, derer die anderen dann vollends enthoben sind. Selbstversorgung, bei der sich jeder seine Felle für den Eigenbedarf schießt, ist in einer derart übervölkerten Welt nicht mehr möglich. Doch gerade an dieser Ubervölkerung leidet die Natur.

Grey Owl findet seinen Weg zur Abkoppelung. Und mit Hilfe Anahareos publiziert er ein Buch über sein Leben mit der Natur, beginnt bei Vortragsreisen zunehmend große Säle mit begeisterten Zuhörern zu füllen, entwickelt sich langsam zu einer Pop-Ikone der dreißiger Jahre und zu einem Mitbegründer des ökologischen Bewußtseins im 20. Jahrhundert. Das Ende dieser Lebensphase wird erst eingeläutet, als Einzelheiten über die verschwiegene Vergangenheit Grey Owls ans Tageslicht der Öffentlichkeit dringen.

Auch wenn heute noch viel mehr als vor 70 Jahren abgeholzt, planiert, und versiegelt wird, damit die Euro-Stücke in den Taschen noch mehr klimpern, so ist es Richard Attenborough immerhin gelungen, das Leben eines vorbildlichen Menschen in eindrucksvoller Weise zu verfilmen. Nicht nur die überzeugenden schauspielerischen Leistungen, auch die atemberaubenden Naturaufnahmen und eine kurzweilig erzählte Geschichte machen "Grey Owl" zu einem herausragenden Kinoerlebnis. Der Film startet bundesweit am 13. April in den Kinos.


 
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