© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Mehr Kontrolle
Wer schützt vor dem Verfassungsschutz?
Hans-Helmuth Knütter

Der Verfassungsschutz soll die "freiheitliche, demokratische Grundordnung", nicht den Staat, gegen Extremisten schützen. Ein Extremist ist jemand, der die "fdGO" umstürzen will, durch Planung oder die Tat. Also: der Verfassungsschutz soll gegen politisch motivierte Kriminalität schützen.

Der Balanceakt zwischen System- bzw. Verfassungsschutz und Gesinnungsüberprüfung gelang jedoch nicht. Wie so oft, ging es auch hier nach der Regel "gut gemeint – schlecht gemacht". Der Verfassungsschutz sollte keine polizeilichen Exekutivaufgaben erhalten, um ihn von Gestapo und Stasi zu unterscheiden. Das führte aber zu einer Ausweitung des Spitzelwesens bis hin zur Gesinnungskontrolle und Meinungslenkung durch die Verfassungsschutzberichte, die sich zwar objektiv geben, aber parteipolitische Propagandaschriften der jeweiligen Mehrheitsverhältnisse sind. Unverkennbar ist die Tendenz, jeden als "Verfassungsfeind" zu diffamieren und "auszugrenzen", der die Pfründen des Establishments bedroht. Dazu dient die unglaubliche Formel, es gebe "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen". Wenn der Geheimdienst einen Verdacht hat, soll er das Maul halten und ermitteln. Entweder bestätigt sich der Verdacht, dann ist es Sache der Justiz, an die Öffentlichkeit zu treten. Oder er bestätigt sich nicht. Dann hat der Geheimdienst erst recht zu schweigen. Laufend aber werden angebliche Geheimdiensterkenntnisse in einer Weise verdächtigend geäußert, die zur Aufhetzung eines Teils der Bevölkerung gegen andere führt. Die trotz allem immer noch obrigkeitshörigen Bürger nehmen die Verdächtigungen als Tatsachen. Bei der Stasi hieß dies "Zersetzung". Genau das geschieht – mit systembedingten Unterschieden – hier auch.

In der Politikwissenschaft spricht man von "Totalitarismus", wenn nicht nur das Wohlverhalten der Staatsbürger erwartet, sondern auch das Denken reglementiert wird. Wo ist der Unterschied? Jawohl, es gibt Meinungspluralismus und Gedankenfreiheit. Aber die Freiheit, die Gedanken auch zu äußern, wird zunehmend beschnitten.

Der Verfassungsschutz soll das System, aber nicht das Establishment schützen. Gerade durch dessen Vertreter findet aber eine schleichende Überwindung der Verfassung statt, die der Verfassungsschutz nicht erkennt. Ist er deshalb überflüssig und kann aufgelöst werden, wie vor allem von linker Seite gefordert wird? Das wäre möglich, es dürfte aber realistischer sein, die Behörden beizubehalten, sie aber schärfer zu kontrollieren und in ihrer Tätigkeit zu begrenzen. Notwendig wäre es, das bereits vorhandene Mißtrauen gegen Geheimdienstmanipulation zu verstärken und in einem alternativen Verfassungsschutzbericht aufzulisten, was offiziell aus parteipolitischem Interesse verschwiegen wird, nämlich die extremistische Infiltration der etablierten Parteien und die linksextreme Unterwanderung der Gewerkschaften. Dazu gehört auch die Spionage und Zersetzung durch unsere westlichen "Freunde und Verbündeten". Ferner müßte die Neigung mancher Verfassungsschützer, sich in der Öffentlichkeit als Präzeptoren der Demokratie zu präsentieren, unterbunden werden.

Dagegen ist der Vorschlag, die Behörde aufzulösen, unrealisierbar. Man denke an die vielen schönen Posten für Parteifunktionäre. Und was würde das Ausland sagen? Also: Nicht Abschaffung, sondern Kontrolle durch Aufklärung und Mißtrauen. Die Frage, wie man die Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützt, bleibt aktuell.


 
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