© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
CD: Pop
Luftschläge
Peter Boßdorf

Die wenigen nachlässig gekleideten Menschen mit zornigem Gesichtsausdruck und ungepflegten Haaren, die es heute noch gibt, werden vielleicht ausnahmsweise einmal gelächelt haben, als die Weltgemeinschaft der Globalisierungsgegner im vergangenen Jahr ausgerechnet in Seattle zuschlug und dem Gipfel der Welthandelsorganisation ein Scheitern im Rampenlicht ermöglichte. Niemand, der noch einen Hauch von Sinn für Poptradition aufbringt, hätte wohl einen geeigneteren Ort nennen können. Mit Seattle verbindet sich der vorerst und wahrscheinlich auf längere Zeit letzte Stil, der zwar nicht die Illusion nährte, daß man irgend etwas verändern könnte, unbeschadet dessen aber glaubwürdig vermittelte, daß man dann doch wenigstens dagegen sein sollte. Viel ist davon nicht übriggeblieben. Inseln des Abrockens bieten dem Menschen von heute Abwechslung von den Anforderungen des Alltags. Hier kann er unter Gleichgesinnten einmal ganz anders sein.

Es kann also nicht verwundern, daß die Trauer und die Verachtung der Smashing Pumpkins heute einen sehr grundsätzlichen Zug tragen. Leben, Liebe und Tod müssen es schon sein, anderes lohnt eine künstlerische Beschäftigung kaum. Für Billy Corgan und die Seinen ist das offenkundig eine geeignete Warte, um sehr souverän und mit leichter Hand zu punktgenauen Luftschlägen auf ein Publikum anzusetzen, das melancholische Kräftigung erwartet. "Machina/the machines of God" (Virgin) dokumentiert genau dies aufs Neue in einer ebenfalls nicht ungewohnten Ausgewogenheit von eher "schnellen" und eher "langsamen" Songs. Der freundlich lächelnde Bekenntnisglatzkopf mit dem höchstwahrscheinlich völlig unberechtigten Miesepeterimage hat sein dramaturgisches Geschick, einen sich gerade in Gewitter auflösenden Sound in eine nölende Melodie zurückzuzwingen, immer noch nicht ausgereizt. Offen bleibt nur, was an der neuen CD als jener Neuanfang angesehen werden könnte, den die Band hartnäckig behauptet. Vermissen muß man ihn aber nicht. Die Smashing Pumpkins können für sich eine "unique selling proposition" reklamieren, die sie bis auf weiteres unangreifbar macht.

Einige Sprossen tiefer auf der Erfolgsleiter läßt sich dies unterdessen auch von Therion behaupten, und dabei hat es der Schwede Christofer Johnsson, auf dessen Schultern das Projekt lastet, nicht einmal leicht. Die Versuche, Klassik und Metal zu verknüpfen, sind nämlich weder neu noch rar noch überraschend, und noch seltener sind sie gelungen. Freimütige Enthüllungen heimlich angefertigter und auch besser geheimgehaltener Musikschulkompositionen und Billigversionen der Dreitenöreherablassung prägen das Bild. Therion jedoch scheitert nicht. Die jüngste CD "Deggial" (Nuclear Blast) ist eine Hommage an Carl Orff (der auch in einem Track gecovert wird), in deren Arrangement sich die Standardausrüstung des Metal fügt, als wäre dies das Selbstverständlichste von der Welt. Johnsson hat die Mühe der Komposition durch eine akribische Produktion – mit "Orchester "und "Chor" – abgerundet.

Soviel Aufwand konnte Raymond P. mit seinem Projekt The Days of the Trumpet Call zwar nicht treiben, dafür ist das Ergebnis ausgeglichener: Nicht auf eine Steigerung der Herzfrequenz, sondern auf Kontemplation zielt "Purification" (Black Rain), ein neoklassisch arrangiertes Konzeptalbum, das den Hörer vom "verlorenen Ich" des Anfangs an die Hand nimmt und ihn über das "Erwachen" und die Prophezeiung, daß "keine Nacht mehr sein wird", bis zur Läuterung führt. Fragmentarische Andeutungen evozieren eine gnostische Atmosphäre, in der auch gar nicht mehr gesagt werden muß. Die Nähe zu Josef K. und Forthcoming Fire – sie äußerte sich auch in gelegentlicher Kollaboration – ist zu erkennen – nicht weniger aber die künstlerische Eigenständigkeit.


 
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