© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Mit der Brechstange
Die CDU will bei den Themen Atomausstieg und Zuwanderung Boden gutmachen
Paul Rosen

Die Überschrift einer in Berlin verteilten gemeinsamen Pressemitteilung von CDU und CSU klang banal: "Ohne die Union", hieß es da, "keine Einigung über die Zukunft der Kernenergie". Das war – gelinde gesagt – die Untertreibung des Monats. Denn hinter dem umständlich formulierten Text verbirgt sich nichts anderes als der Anlauf, das rot-grüne Lieblingsprojekt des Ausstiegs aus der Atomenergie zu Fall zu bringen. Der neue Versuch, Oppositionspolitik mit der Brechstange zu betreiben, zeigt, daß die Unionsparteien und besonders die CDU aus dem Spendensumpf herausgekommen ist und wieder trockenen Boden unter den Füßen gewinnt. Weniger gut läuft bisher jedoch die Sensibilisierung des Asylthemas.

Die ersten Reaktionen vor allem aus dem Lager der Grünen auf die Bekundungen der Union, den Atomkonsens blockieren zu wollen, erinnerten an Heulen und Zähneknirschen. Der von der Koalition eingeschlagene Weg werde fortgesetzt, versprachen Umweltminister Jürgen Trittin und Noch-Vorstandssprecherin Antje Radcke und beteuerten, auf Ausstiegskurs bleiben zu wollen. Doch die Unionsparteien planen offenbar dieselbe Strategie, mit der der frühere hessische Umweltminister und heutige Außenamtschef Joschka Fischer einst die Atomindustrie in Hessen in die Knie zwingen wollte, indem er die Kompetenz des Landes bis zum Äußersten ausreizte. Das soll jetzt CDU-Ministerpräsident Roland Koch in Hessen auch tun – nur andersherum, um die Kernanlagen in Bestand zu erhalten. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hat ohnehin schon angedroht, gegen einen Atomausstieg alles zu tun und notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen.

Von den Grünen lernen heißt im Fall der föderal aufgebauten deutschen Energiepolitik dann vielleicht doch siegen lernen? Die Verhältnisse liegen heute natürlich anders als zu den Zeiten, in denen Fischer in Hessen noch Umweltminister und in der Bevölkerung eine breite Anti-Atom-Stimmung festzustellen war. Die romantisch verklärten Behauptungen, das Ende der Atomenergie bedeute zugleich mehr Umweltschutz, werden heute nicht mehr ohne weiteres akzeptiert. Die Internet-Gesellschaft will einfach nicht mehr glauben, daß der Strom aus der Steckdose kommt, sondern interessiert sich zunehmend für ein Gesamtkonzept der Energieversorgung. Bei diesen Fragen kommen Trittin und Co. regelmäßig ins Schleudern. Der Hinweis auf mehr Energieeinsparung und zusätzliche Wind- und Sonnenkraft erbringt ein paar Prozentpunkte für die Energiebilanz. Aber ein Drittel des deutschen Energiebedarfs wird in Atomkraftwerken gewonnen und müßte bei einem Totalausstieg ersetzt werden. Falls es im Energiesektor nicht zu sensationellen Neuerfindungen kommen sollte (was im Moment niemand erwartet), wäre die Bundesrepublik nach einem Ausstieg gezwungen, die Defizite durch Lieferungen aus dem Ausland auszugleichen, etwa aus französischen oder russischen Atommeilern. Würde man die deutsche Atomkraft statt dessen durch herkömmliche Kraftwerke ersetzen wollen, würde dies zu einem Anstieg des Kohlendioxidausstoßes von 160 Millionen Tonnen bundesweit führen. "Die Folgen für den Klimaschutz wären unvorstellbar", erklärte der CSU-Umweltexperte Christian Ruck.

Schröder muß den Konsens mit der Opposition suchen

Daher will die Union an der Kernkraft festhalten: "CDU und CSU halten den Ausstieg aus der Kernenergie auch in Form von Laufzeitbegrenzungen für bestehende Kraftwerke sowie ein Neubauverbot für Kernkraftwerke für falsch." Natürlich bekommt die Opposition für diese Politik im Bundestag keine Mehrheit. Deshalb soll der Hebel über die Länder und Gemeinden angesetzt werden, in denen die Union regiert. Die Bundesregierung braucht die Zustimmung der Länder besonders in den Fragen der Entsorgung, der Zwischenlagerung und des Transportes von Brennstäben und atomarem Müll.

Denn einfach den Ausstieg in 30 Jahren zu beschließen und – als Wahlkampfhappen für die grüne Partei – ein oder zwei Meiler in Kürze stillzulegen, reicht für den angestrebten Atomkonsens nicht aus. Zahlreiche Entsorgungs- und Zwischen- bzw. Endlagerungsfragen müssen geklärt werden, und in diesen Bereichen kann die Union tatsächlich den Hebel ansetzen und ihre Teilnahme an den Konsensgesprächen zwischen Bundesregierung und Energiewirtschaft regelrecht erzwingen.

Damit geht die Drohung von Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen die Atomindustrie, daß ohne gütliche Einigung der Ausstieg gesetzlich geregelt werde, de facto ins Leere. Schröder wird sich daran erinnern müssen, daß seine Vorgänger Helmut Kohl und Helmut Schmidt in Energiefragen stets den Konsens auch mit der jeweiligen Opposition und den Bundesländern herzustellen versuchten, weil die föderale Struktur der Bundesrepublik einsames Handeln einer staatlichen Ebene in wichtigen Fragen nicht zuläßt. Schröder wird auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und feststellen müssen, daß er in der Energiepolitik mit CDU-Chefin Angela Merkel eine qualifizierte Gegenspielerin hat. Die Rostocker Pfarrerstochter leitete mehrere Jahre das Bonner Umweltministerium. Auf jeden Fall dürfte sich die Absicht der rot-grünen Koalition, vor den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen am 14. Mai ein verbindliches Ausstiegsszenario präsentieren zu können, damit erledigt haben.

Wirtschaftsverbände gehen auf Distanz zur Union

Der Düsseldorfer CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers kann sich für den Vorstoß der Bundespartei und der CSU bedanken, denn er selbst hat sich mit seiner Aktion gegen Schröders Green Card in Bedrängnis gebracht. Sein heftiges Vorgehen gegen die Anwerbung ausländischer Computer-Experten stieß selbst in der eigenen Partei auf wenig Gegenliebe, und im Bereich der Wirtschaft gingen die führenden Verbände auf Distanz zur Rüttgers. Seitdem selbst der CDU-treue "Zentralverband des deutschen Handwerks" nichts mehr gegen die Anwerbung hat, ist die Rüttgers-Kampagne regelrecht zusammengebrochen.

Hinzu kommt, daß es wohl etwas länger dauert, bis die neue Fraktionsführung der CDU/CSU mit Friedrich Merz an der Spitze ihre Rolle im Bundestag wieder gefunden hat. Merz machte in den ersten Debatten zwar schon eine recht gute Figur, muß aber den Umgang mit Schröders Ausputzern, etwa dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, noch lernen. Daher stieß die Union mit ihren ersten Versuchen, das Thema Green Card mit einer generellen Zuwanderungsdebatte zu verknüpfen, noch nicht so recht durch. Doch Merz lernt schnell dazu, und das Thema Zuwanderung bleibt der Politik auf jeden Fall erhalten.


 
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