© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Neue Wege
Vertriebene müssen umdenken
Doris Neujahr

Die Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg ist (...) die erste Landsmannschaft, die an der Frage, wie die Zukunft gestaltet werden kann, auseinandergebrochen ist." Mit diesem bitteren Fazit hat sich der langjährige Vorsitzende Werner Bader in der in Bonn erscheinenden Kulturpolitischen Korrespondenz von seinem Verband verabschiedet, den er 14 Jahre lang geleitet hatte. Sein größter, bleibender Erfolg ist die Einrichtung des "Hauses Brandenburg", das Mitte vergangenen Jahres in Fürstenwalde an der Spree eröffnet wurde. 1,7 Millionen Mark hatte die Landsmannschaft für dieses Projekt gesammelt – für die kleine Organisation eine enorme Summe.

Das "Haus Brandenburg" soll mit seiner Arbeit dafür sorgen, daß die deutsche Geschichte und Kultur der brandenburgischen Gebiete östlich von Oder und Neiße "nicht in das große, schwarze Loch des Vergessens fallen". Es ist wenig bekannt, daß die Oder-Neiße-Linie auch brandenburgische Gebiete von Deutschland abtrennt. Nach dem Krieg wurden der Provinz Brandenburg große Teile – die Neumark, die Grenzmark und die östliche Niederlausitz – abgerissen. Größte Stadt Ostbrandenburgs ist Landsberg an der Warthe, der Geburtsort der Schriftstellerin Christa Wolf und des Romanisten Victor Klemperer.

Am 30. Oktober 1999 hatte Werner Bader nach einer Abstimmungsniederlage auf der Delegiertentagung seinen Rücktritt erklärt. Zugleich erklärten drei Landesverbände, fünf Heimatkreise, zwei langjährige stellvertretende Bundessprecher sowie der Bundesschatzmeister ihren Austritt. Und diese Austrittswelle ist noch nicht zu Ende. Der Streit hatte sich um die Perspektive des "Hauses Brandenburg" entzündet. Bader hatte vorgeschlagen, die Leitung einer Stiftung zu übergeben, die durch die Mitwirkung von Bürgermeistern, Landräten, Vertretern des öffentlichen und kulturellen Lebens fest in das brandenburgische Umland integriert ist. Das "Haus Brandenburg" sollte gewissermaßen als Ertrag und Vermächtnis des 50jährigen Wirkens der Landsmannschaft zu treuen Händen übergeben werden, in der nüchternen Erkenntnis, daß eine institutionelle Konstruktion nötig ist, "die auch über die biologisch abnehmende Kraft der Heimatvertriebenen hinausreicht". In diesem Punkt wollte ihm die Mehrheit jedoch nicht folgen.

Was wie eine interne Querele einer Nischenorganisation aussieht, berührt in Wahrheit die Fragen nach der Identität und der Zukunftsfähigkeit der Vertriebenenverbände insgesamt. Bader, der 1996 aus Westdeutschland zurück nach Brandenburg gezogen ist, hat eine wichtige Erfahrung gemacht: "Für die Landsmannschaft als Vertriebenenorganisation kann man im Land Brandenburg keine Mitglieder oder Sponsoren gewinnen (...), für die historische und kulturelle Arbeit aber sehr wohl." Dieser Konflikt läßt sich auch nicht auf den Gegensatz zwischen opportunistischen "Verzichtlern" und geschichtsbewußten "Traditionalisten" zurückführen. Bader, wenn er Verbandsdelegationen nach Ostbrandenburg leitete und dort in Rathäusern empfangen wurde, brachte es fertig, polnischen Kommunalpolitikern, die die früheren deutscher Bewohner mit dem Satz: "Fühlen Sie sich wie zu Hause!" begrüßten, zu entgegnen: "Wir sind hier zu Hause." Da an seinem Verständigungswillen kein Zweifel war, wurde diese Replik auch akzeptiert.

Die Landsmannschaft Berlin-Brandenburg hat es leichter als andere, weil der überwiegende Teil der Provinz seit 1990 zum wiedervereinigten Deutschland gehört. Sie hat es zugleich schwerer, weil dadurch die überkommene Fixierung als Organisation, die ihre Existenzberechtigung aus der Vertriebenenidentität ableitet, kaum mehr einleuchtet.

In den Jahren vor 1990 gehörte es in maßgeblichen Medien zum guten Ton, die Vertriebenenverbände als eine Art Balzac’sches Antiquitätenkabinett zu beschreiben, in dem trachtenbewehrte "Ewiggestrige" den Lauf der Zeit ignorieren. Nach dem Fall der Mauer veränderte sich die Optik. Zum einen erweiterte sich durch die Wiedervereinigung das Betätigungsfeld. Es war noch einmal eine große Leistung des Bundes der Vertriebenen (BdV), für die Ostvertriebenen, die sich in der späteren DDR niederließen, eine zumindest symbolische Entschädigung in Höhe von 4.000 Mark durchgesetzt zu haben. Vor allem aber erfuhren die erklärten immateriellen Anliegen der Vertriebenen – Behauptung der geschichtlichen Wahrheit und Bewahrung des kulturellen Erbes – eine neue Vitalität und gesellschaftliche Relevanz.

Es besteht für die Brandenburger Vertriebenenorganisation die Chance, diese positiven Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas voranzutreiben, indem sie integrativer Teil des gesellschaftlichen Umfeldes wird, anstatt als exklusive – und aussterbende – Schicksalsgemeinschaft zu fungieren. Das von Bader vorgeschlagene Stiftungskonzept könnte Modell und Kristallisationspunkt dafür werden. Er gehört nun einem "Förderverein" an, der jenseits der Landsmannschaft diese Rolle übernehmen soll. Seinem Nachfolger Dieter Lonchant wirft er vor, er habe "nicht begriffen, daß sich die Arbeit des ‚Hauses Brandenburg‘ in Dimensionen bewegt, die weit über die Organisation Landsmannschaft hinausreichen. (…) Viele, die schon im Land Brandenburg und jenseits der Oder für die Mitarbeit gewonnen werden konnten, sind deshalb auf Distanz gegangen."

Die Vertriebenenverbände sollten schnell die richtigen Schlußfolgerungen ziehen. Sonst reduziert sich in allernächster Zeit die Frage nach ihrer Zukunft auf ein Bonmot Balzacs: "Ist es nicht das größte Unglück für eine Partei, von Greisen vertreten zu werden, wenn schon ihre Ideen veraltet erscheinen?"


 
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