© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Entschlackt
Die Kölner Rockgruppe BAP tourt durch Deutschland
Holger Stürenburg

Rundum erneuert präsentiert sich die Kölner Rockgruppe BAP im zweiten Teil ihrer "Tonfilm"-Tournee. Nach dem Ausstieg der beiden Ur-Mitglieder Klaus "Major" Heuser und Alexander "Effendi" Büchel hatte sich Texter und Sänger Wolfgang Niedecken im vergangenen Sommer mit einer vollkommen neuen, jüngeren Mannschaft umgeben, die bereits dem im Herbst letzten Jahres erschienenen Album "Tonfilm" klangliche Aktualität, jugendliche Frechheit und musikalischen Charme verliehen hatte, die manchen BAP-Platten in alter Besetzung fehlten.

Der glatzköpfige Michael Nass übernahm sachte, ohne zu übertreiben, die Keyboards, die stimmgewaltige farbige Sheryl Hackett die Percussions und den Hintergrundgesang. Die beiden Ex-"Deserteure" Jürgen Zöller und Werner Kopal bilden den "älteren", erfahrenen Teil der Gruppe, die von Helmut Krumminga und Jens Streifling – beide bereits seit einigen Jahren bei BAP – hervorragend abgerundet wird.

Das Programm der "Tonfilm"-Tour enthält kaum alte Hits zum Mitsingen der Sorte "Alexandra – Nit or Do", "Waschsalon" oder "Ne schöne Jrooß". Statt dessen greifen Niedecken und seine Jungs auf BAP-Material zurück, das aufgrund seiner oft zerbrechlichen Struktur niemals zu Hits avancieren konnte. Lieder wie "Bleifooß" (1990), "Helfe kann Dir keiner" (1980), "Jupp" (1981) oder "Wat usser Rock‘n‘Roll" (1990) sind nahezu "Unplugged" arrangiert. Das Piano perlt, Synthis und Keyboards kommen kaum zum Zuge, nur selten wird eine E-Gitarre eingesetzt. Akustische Gitarren, gar ein Akustikbaß und Streiflings vielfältige Blasinstrumente verleihen den betagten BAP-Songs eine enorme Frische, als sei die Band gerade erst aus dem Übungsraum gekommen und stünde nun zum ersten Mal auf einer Bühne. Fast alle Lieder des Albums werden gespielt – die alten größtenteils in neuen Arrangements, "so wie wir sie damals hätten aufnehmen sollen", wie Niedecken selbstkritisch anmerkte.

So ist "Nemm mich mit" 2000 kein hitparadenstürmender Stadionrocker mehr, sondern eine eher düster wirkende Pianopopnummer, "Diss Naach ess alles drinn" – ein persönlicher Rückblick Niedeckens auf seine Jugend im Köln der späten 60er Jahre – wirkt wie eine deutsche Version von "Running on Empty", die Öko-Parodie "Müsli-Män" – BAP waren eine der wenigen Bands, die ihre grüne Klientel oft gekonnt veralberten – avanciert zum knisternden Barjazz, und die altehrwürdige "Ruut-Weiß-Blau, querjestriefte Frau" kommt als Fast-Rockabilly daher.

Die neuen Songs von "Tonfilm" stehen den Klassikern in nichts nach. "Rita, mer zwei" etwa ist eine rockige Nummer mit einem Text über eine Frau, die einem vor Jahren den Kopf verdreht hat und von der man meinte, sie niemals verlassen zu können – um nun nach langer Zeit festzustellen, daß man sie zwar hat verlassen, aber nicht vergessen können. Auch "Mayday" ist ein schneller Rocker, versehen mit beißend-zynischem Text, der sich um die Vermarktung von allem und jedem, die zunehmende Verblödung des Fernsehens dreht und der, ohne den Zeigefinger zu erheben, vor weiterer Vermüllung von Kultur und Gesellschaft warnt.

Auf ein paar Klassiker können Niedecken und seine neuen Mannen natürlich auch auf dieser Tournee nicht verzichten. So erklingt eine akustische, balladeske Fassung von "Verdamp lang her" – eine Version des Rockklassikers, die das gespaltene Verhältnis Niedeckens zu seinem verstorbenen Vater direkt auf das Publikum überträgt, was der einst von Heuser arrangierten Fassung nicht immer gelang. Aus Niedeckens Soloalbum gibt es das düstere, aufgeregte Stück "Lichterkette", in dem er eine Geschichte aus der DDR erzählt: Ein Jugendlicher schaut von einer Brücke auf die westlichen Autofahrer, die auf der Transitstrecke nach Berlin fahren, und ist hin- und hergerissen, ob er vielleicht auch einmal in den "goldenen Westen" fahren wolle – oder ob er nicht doch lieber in seiner Heimat bliebe und dort für gesellschaftliche Veränderungen sorgte.

Alle diese schnelleren, rockigeren Songs gibt es nach einer 20minütigen Pause, wenn es kaum noch einen der Zuschauer auf den Sitzen hält. Und als BAP gegen Ende der fast dreistündigen Show die Kinks-Hymne "Waterloo Sunset" anstimmt, gibt es kein Halten mehr – die gesamte Halle singt mit.

Im Sommer werden BAP mehrere Festivalauftritte bestreiten, auf denen auch die Hymnen zum Mitsingen wieder zum Zug kommen sollen. "Tonfilm", so Niedecken, sei ein "Zwischenspiel", kein reguläres BAP-Album bzw. keine reguläre BAP-Tournee. Viel eher wollte man experimentieren und den neu hinzugekommenen Mitgliedern die Möglichkeit eines guten Einstandes geben, was auch gelungen ist. Bevor es im Herbst ein "reguläres" neues BAP-Album gibt, wird ein Konzertfilm dieser Tournee in die Kinos kommen, für den BAP die Regielegende Wim Wenders ("Paris, Texas", 1985) gewinnen konnte.

BAP haben den Ausstieg des "musikalischen Direktors" Heuser gut verkraftet. Er hinterläßt kaum eine Lücke – Helmut Krumminga steht ihm mit seinen Gitarrenkünsten in nichts nach, viel eher entschlackt er den BAP-Sound –, und Niedecken und seine Mitstreiter zeigen, daß deutscher Rock – wie BAP ihn seit gut 20 Jahren spielen – auch ohne verzwickte Studiotechnik, ohne "Majors’ Hunderte Gitarren übereinander" (Niedecken) und ohne große Synthi- und Keyboard-Epen funktioniert.


 
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