Jedem politisch Interessierten liegt die Zukunft am Herzen. Darüber, wie sie aussieht gehen die Meinungen aber auseinander. Das Ehepaar Steinmüller – Diplomphysiker und Philosophin – riskiert einen Blick auf die nächsten 100 Jahre, den es mit einer Rückschau auf die Utopien des 20. Jahrhunderts verbindet.

Beide wollen beantworten, welches Entwicklungspotential in Gentechnik, Cyberspace und der Automatisierung vieler Lebensbereiche steckt, und resümieren: Kaum ein Stein dürfte auf dem anderen bleiben. Doch nicht jede Vision wird realisiert, manche Utopie bleibt Luftschloß. So dürfte der Bau von Zeitmaschinen noch lange auf sich warten lassen. Aber militärtechnisch könnte der Einsatz von Robotern als Soldaten der Zukunft oder die Züchtung intelligenter Kampfinsekten für das Kriegswesen revolutionäre Konsequenzen haben. Auf zivilem Sektor richten sich die Hoffnungen seit jeher auf medizinische Durchbrüche, die uns ewige Jugend bescheren. Zudem schürt die Weltraumfahrt Phantasien. All-Stationen eignen sich als Basen zur Erforschung oder Besiedlung fremder Planeten. Die scheinbar unabwendbare Überbevölkerung könnte die Expansion ins All erzwingen und wird deshalb als Marketing-Utopie jenen verkauft werden, die man nicht mehr auf dem blauen Planeten sehen möchte.

Der technische Weg ist jedoch keine Einbahnstraße, sondern ist von politischen Interessen abhängig. So werden sich im 21. Jahrhundert Gegenkräfte gegen die Technisierung und Verkünstelung unserer Lebenswelt regen. Beispielsweise die prognostizierte Bewegung der rebellischen Reaktionäre, die sich aus religiösen Fundamentalisten und radikalökologischen Gaia-Anbetern rekrutieren werden. Oder jene Ökologen, die für die "Entschleunigung" der Welt, ihre großräumige Wiederbegrünung und Rekultivierung kämpfen. Ob das Projekt Öko-Kommune oder die Durchrationalisierung, der Umbau zur "Technologie-Welt" nach US-Muster, ins 22. Jahrhundert eintritt, verraten die Autoren aber leider nicht.

Angela und Karlheinz Steinmüller, Visionen – Eine Chronik der Zukunft 1900-2000-2100, Hamburg, Rogner&Bernhard bei Zweitausendeins, 600 Seiten, 50 Mark.