© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Meldungen

Österreich vor einem Bewältigungsexzeß

WIEN. Die oppositionelle SPÖ sucht wegen der "braunen Flecken" in ihrer Parteigeschichte das Heil in der Offensive. Nachdem wieder einmal debattiert wird, warum die sozialistische Ikone Karl Renner 1938 dem "Anschluß" zustimmte, oder warum der Euthanasiearzt Heinrich Gross auf SPÖ-Ticket Karriere machen konnte, plädiert die rote Parteiführung jetzt für eine Totalisierung der "Aufarbeitung". Da die noch von Kanzler Viktor Klima eingesetzte Historikerkommission kaum öffentliche Wirkung entfaltet, fordert die SPÖ nun die "gesamtgesellschaftliche Debatte" in allen Parteien, Medien, Bildungseinrichtungen, Kirchen und Verbänden. Geschichtspolitisch nicht ungeschickt, da man sich so ins Lager der moralisch sakrosankten Ankläger der Zweiten Republik schlägt. Die haben soeben unter Führung des "Opferanwalts" Ed Fagan eine auf 36 Milliarden Mark bezifferte Sammelklage eingereicht und die "versäumte Entschädigung" mit großer publizistischer Unterstützung SPÖ-naher Historiker auf eine 50jährige Bewältigungslücke zurückgeführt. Daß die initiierte Debatte gegen "aktuelle Gefahren des Rassismus" (lies: FPÖ) ausgemünzt werden soll, versteht sich von selbst.

 

Reemtsma-Institut antwortet auf Kritiker

HAMBURG. Fast ein Jahr hat es gedauert, bevor das Hamburger Reemtsma-Institut auf das Werk des Militärhistorikers Franz W. Seidler ("Die Wehrmacht im Partisanenkrieg. Militärische und völkerrechtliche Darlegungen zur Kriegführung im Osten" Selent 1999) antwortet. Seidler gehörte zu den profiliertesten Kritikern der von Reemtsma finanzierten Anti-Wehrmacht-Ausstellung. Heinz-Ludwig Borget versucht in der jüngsten Ausgabe des Institutsorgans "Mittelweg 36" , Seidlers Studie als "geschickte Komposition von Fakten und Halbwahrheiten" zu entwerten. Der allein moralisch, mit der Kategorie des "Verbrechens" argumentierende Kritiker vermag jedoch nicht jene "Eskalation der Verrohung" (Günter Kießling) zu begreifen, die den Partisanenkrieg im Osten charakterisiert und die eben nicht, wie Borget meint, für die Sowjets eine exklusive Opferrolle reserviert.

 

Wissenschaftshistorisch entdeckt: Mitteleuropa

BERLIN. Die Reichshauptstadt war bis 1945 neben Leipzig ein Zentrum der Südosteuropaforschung. Vor allem das Collegium Hungaricum für die ungarischen Studenten an der Berliner Universität zählte zu Aktivposten der deutschen auswärtigen Kulturpolitik – in der Weimarer Republik wie im Dritten Reich. Zumindest Vertreter der ungarischen Seite dürften keine Probleme damit haben, sich positiv auf diese Tradition zu beziehen, wenn sie Anfang Juni an einem repräsentativen Symposium der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte teilnehmen. In Budapest und Piliscsaba verhandelt man zum Thema "Der Donauraum in der Wissenschaftsgeschichte Europas mit besonderer Berücksichtigung der deutsch-ungarischen Wissenschaftsbeziehungen".

 

Außenpolitik im Sog universeller Werte

BONN. Zum Thema "Religion und Politik" hat die zeitgeistkompatible, quasi-offiziöse Zeitschrift Internationale Politik (Heft 2/2000) den außenpolitischen Führungsanspruch der Moralwissenschaften jedweder Couleur angemeldet. Der Theologe Hans Küng verlangt nach "ethischer Außenpolitik", die Philosophin Michèle Schmiegelow von der Katholischen Universität Louvain und andere Beiträger wollen dies mittels "humanitärer Interventionen" durchsetzen, während Bassam Tibi sich erlaubt, diesen enthemmten Werteuniversalismus auf "fundamentalistische" Widerstände hinzuweisen.


 
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