© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Beten wir alle zum selben Gott?
von Friedrich Romig

Die Tragweite dieser auf den Kern des interreligösen Diskurses zielenden, brisanten Frage wird an den Themen deutlich, die von höchstqualifizierten Referenten während der "Internationalen Theologischen Sommerakademie 1999" des Linzer Priesterkreises, einer Vereinigung von rund 400 zumeist konservativen Priestern, darunter der Altmeister der deutschen Theologie, Professor L. Scheff-czyk, angeschnitten wurden: Gibt es "eine Theologie der Religionen", oder gibt es nur eine einzige wahre Religion, die christliche? Gibt es nur einen einzigen Heilsweg, oder bieten auch andere Religionen Wege an, die den Menschen erlösen und das ewige Leben gewinnen lassen? Was hat es mit der Einzigartigkeit des Christusereignisses auf sich? Unterscheiden sich die Gottesbegriffe in den Hochreligionen, oder "beten alle zum selben Gott"? Gibt es so etwas wie eine "natürliche Gotteserkenntnis in den verschiedenen Religionen"? Ist vielleicht "der Glaube an die alleinseligmachende Kirche ein historisches Mißverständnis"? Was bedeutet die Einzigartigkeit von Christentum und Kirche für die Begegnung mit den Gläubigen anderer Religionen, "Dialog oder Mission"? Und wie ist dann das Verhältnis von "Juden und Christen" zu deuten, findet auch das jüdische Volk als Religionsgemeinschaft Erfüllung erst in und durch Christus?

Wer sich auch nur in eine einzige dieser Fragen vertieft, vor dem türmen sich Gedankenberge auf, die er ohne sichere Führer nicht besteigen kann.

Natürlich beten nicht alle Menschen zu demselben Gott. Nicht wenige beten goldene Kälber, falsche Götter oder Götzen an. Das ist beileibe nicht bloß heute der Fall, da Geld, Sex und Spaß jedenfalls für breite Kreise wichtiger geworden sind als die Verehrung Gottes. Im Altertum war es nicht viel anders. Vom Tanz um das Goldene Kalb war, wie die Bibel berichtet, Moses so erzürnt, daß er die auf dem Berg Sinai erhaltenen göttlichen Gesetzestafeln wutentbrannt zertrümmerte und tausende Angehörige seines Volkes hinrichten ließ. Toleranz in Glaubensdingen und sittlichem Lebenswandel war bekanntlich nicht seine Sache. Jetzt haben Toleranz und Menschenrechte die Zehn Gebote ersetzt. Viele der Gutmenschen würden am liebsten eine Multikulti-Weltreligion samt menschenrechtsadäquaten ethischen Verhaltensregeln aus den ihnen am vernünftigsten und bequemsten erscheinenden Teilwahrheiten, Lehren und Gewohnheiten der Hochreligionen und Weisheitslehren auf synkretistische Weise herausdestillieren, so als seien Religionen menschliche Konstrukte, durch die wir unser Heil und das ewige Leben erlangen könnten.

 

"Nicht wenige beten goldene Kälber, falsche Götter oder Götzen an. Das ist beileibe nicht bloß heute der Fall, da Geld, Sex und Spaß jedenfalls für breite Kreise wichtiger geworden sind als die Verehrung Gottes."

 

Demgegenüber hielten die Referenten durchgehend und eisern an der insbesondere vom Zweiten Vatikanum wieder in Erinnerung gerufenen Lehre fest, daß keiner zu Gott gelangt außer durch Christus und seine Kirche. Christus ist der einzige Erlöser, der "Redemptor hominis" (so Name und Programm der ersten Enzyklika, mit der Johannes Paul II. sein Pontifikalamt antrat), und die Kirche der einzige Weg zum Heil, denn "extra Ecclesiam nemo salvatur". Alle übrigen Religionen sind auf die christliche "hingeordnet". Was immer daher an "Strahlen der Wahrheit" in den nichtchristlichen Religionen, ihren heiligen Schriften, Riten, Kulten, Traditionen und Gewohnheiten sowie an Gutem und Schönen in den Weisheitslehren der großen Philosophen und ihren Ethiken sich findet – immer wieder wurde erinnert an Sokrates, Platon und Aristoteles, an Buddha, Konfutius und Laotse –, es erhält seine volle Bedeutung und sichere Interpretation erst von Christus her, dem Mensch gewordenen Logos, der in seinem Leib, der Kirche, sichtbar und greifbar auch heute noch mitten unter uns wohnt und wandelt.

Wie Christus alles in allem, so ist die Kirche sein einziges Reich, in dem einst alle Völker samt allem Wahren und Guten, das sich in ihren Religionen, Kulten und Lehren findet, versammelt werden um gemeinsam zum Berg Zion zu ziehen, auf dessen Gipfel die göttliche Stadt zur Ehre des einzigen Gottes und Herrn "aus lebenden Steinen" erbaut wird. Noch bevor die Kirche als "Keim und Anfang" dieser Stadt am Pfingsttage vor rund zweitausend Jahren durch Christus sichtbar gestiftet wurde, bestand sie, wie Augustinus sagte, als "ecclesia ab Abel", als unsichtbares, geistiges Band, das von jeher alle Gerechten und Heiligen aus allen Völkern und Zeiten umschloß. Durch jenes ewige und unzerreißbare geistige Band gehören auch jene zum "mystischen Leibe Christi, der die Kirche ist", die nicht getauft sind und nichts von Christus und seiner Kirche wissen, jedoch dem "natürlichen Gesetz" folgen, das Gott in ihr "Herz" (Gewissen) eingeschrieben hat (Röm 2, 15).

Selbst jene, die ohne eigene Schuld Gott nicht kennen und nicht an ihn glauben, können Gottes Heil erlangen und Glieder der communio sanctorum werden, wenn sie sich unablässig um die Führung eines rechten oder tugendhaften Lebens bemühen und Gottes Liebesgebot erfüllen. Es gibt sie also, "die heiligen Heiden", von denen Jean Kardinal Danièlou berichtet, und wohl auch die "anonymen Christen" des Karl Rahner, die auf eine wohl nur Gott bekannte Weise am Ostergeheimnis von Tod und Auferstehung teilnehmen. Unbeschadet ihrer Religionszugehörigkeit beten sie alle gemeinsam mit den Christen zum selben Gott, denn, wie Johannes Paul II. im Zusammenhang mit dem Treffen in Assisi in einer Ansprache an die Kurie betonte, steht "jedes authentische Gebet unter dem Einfluß des Geistes", den wir "den Heiligen" (Spiritu Sancto) nennen.

Diese offene und wohl großzügige "Inklusivtheorie" wird nur möglich durch das unbedingte Festhalten an dem Exklusivanspruch der christlichen Religion, die einzig wahre Religion zu sein (Paul VI.) und dem Menschen den einzig sicheren Heilsweg zu eröffnen. Das Christentum unterscheidet sich gerade dadurch von allen anderen Religionen, daß es nicht nur ein subjektiver, tastender Versuch ist, Gott näher zu kommen, sondern eine authentische und lebendige Beziehung mit Gott durch den Gottessohn, der Mensch geworden ist, herstellt. Darum ist, wie Johannes Paul II. in seiner Enzyklika zum anhebenden dritten Jahrtausend "Tertio millenio adveniente" betont, "Christus die Erfüllung der Sehnsucht aller Religionen der Welt und daher deren einziger und endgültiger Bestimmungsort".

Wenn die christliche Religion nicht bloß einzigartig, sondern auch die einzig wahre, durch keine magisch-dämonischen Einflüsse verfälschte Religion ist – der Christ kann daran überhaupt keinen Zweifel hegen –, dann verbietet sich jede sinnvolle Rede über eine "Theologie der Religionen" (J. Depuis), geschweige denn kann ein "Pluralismus der Religionen" (J. Hicks) behauptet oder gar eine "Gleichstellung der Religionen" und ihrer Glaubensgemeinschaften gefordert werden. Geschieht es dennoch (wie in den meisten zur westlichen "Wertegemeinschaft" zählenden Gesellschaften unter dem Einfluß des Liberalismus als einer falsch verstandenen Freiheitslehre), so sind als Ursachen Glaubensschwäche, Glaubensabfall und Häresie leicht zu erkennen.

Auch die jetzt so häufig angetroffene Furcht vor dem Islam beruht darauf, daß die Christen sich ihres Glaubens nicht mehr sicher sind und ihn auch nicht mehr leben. Sie beachten "keine verpflichtende Sittenlehre, keine Dogmen mehr. Das ist in den Augen der Muslime das Verächtliche am Abendland", meint pointiert der in diesen Fragen nicht ganz unbewanderte Journalist Peter Scholl-Latour. Der Kampf des Islam, der Dschihad, wird heute ja nicht gegen die ihrem Glauben treuen Christen oder Juden geführt, sondern gegen die Ungläubigen, die die Welt weitgehend beherrschen, die islamischen Gottesstaaten bekriegen, ihnen womöglich noch ihr Land rauben und die Bevölkerung vertreiben. Gläubige Christen und Muslime bezeugten sich dagegen seit jeher gegenseitigen Respekt, schon während der Kreuzzüge.

Der Kirche ist ein gläubiger Muslim noch allemal lieber als ein lauer Christ. Mit Andersgläubigen lohnt sich noch der Dialog, der um der Wahrheit und ihrer Verkündigung willen geführt wird. Wer nicht glaubt, daß es Wahrheit gibt, die absolut, ewig und unveränderlich ist, der glaubt auch nicht an die Existenz Gottes. Gott in seiner Wahrheit und in seiner Vollkommenheit als "der Dreifaltige" zu begreifen, der seinen Sohn opfert, um uns Menschen zu retten und vom Tod zu befreien, ist der Zweck des Dialogs. Dialog steht daher für den Christen immer unter dem Zeichen der Mission, der Verkündigung des einst unbekannten, mit Christus sich aber "in der Fülle der Zeiten" offenbart ha-benden einen und wahren Gottes, wie das Paulus in seiner berühmten Areo-pagrede auf vorbildliche Weise vorgeführt hat.

Der interreligöse Dialog, und darauf hat Johannes Paul II. in seiner Missionsenzyklika (1990) mit Nachdruck hingewiesen, "muß geführt und realisiert werden in der Überzeugung, daß die Kirche der einzige Weg des Heiles und sie allein im Besitze der Fülle der Heilsmittel ist". Christus ist die "Fülle der Offenbarung", der nichts mehr hinzugefügt werden kann, weder durch Teilwahrheiten und die Poesie anderer Religionen, noch durch "neue" öffentliche oder private Offenbarungen. Das Zweite Vatikanum hat dies in seiner dogmatischen Konstitution über die Offenbarung "Dei verbum" für alle Katholiken verbindlich festgehalten. "Weil Gott der Welt in Christus alles gesagt und gegeben hat, was er geben konnte, nämlich sich selbst", kann er seine Offenbarung "nicht mehr überbieten" (K. Wallner). Theologisch gesprochen, kann der interreligöse Dialog dem christlichen Glauben weder etwas hinzufügen noch ihn "bereichern". Er kann nur manchen Christen einzelne Aspekte ihres Glaubens mehr bewußt machen und besser beleuchten.

 

"Mit Andersgläubigen lohnt sich der Dialog, der um der Wahrheit und ihrer Verkündigung willen geführt wird. Wer nicht glaubt, daß es Wahrheit gibt, die absolut und ewig ist, der glaubt auch nicht an die Existenz Gottes."

 

Daß Christus und seine Kirche der einzige Weg des Heils sind, gilt auch für das besonders enge Verhältnis von christlicher und jüdischer Religion, das mit Franz Rosenzweig am besten als "Verbindung von Gemeinschaft und Ungemeinschaft" bezeichnet werden kann.

Einmal sind die Juden in der Tat "unsere älteren Brüder". Christus wurde als Jude geboren, seine Mutter war jüdischen Stammes. Israel ward auserwählt als das Volk Gottes, nur in ihm konnte der Heiland geboren werden, denn "das Heil kommt von den Juden", wie Christus selbst sagt und bezeugt (Joh 4, 22). Seine Jünger und die frühen Apostel, allen voran Paulus, waren alle Juden. Petrus, "der Fels", auf dem die Kirche steht, ist Jude. Der Neue Bund verwirft nicht den unauflöslichen Alten Bund Gottes mit Israel, sondern er setzt ihn fort und erfüllt ihn. So sind schon wegen ihrer geistigen Geburt aus Christus und aus dem jüdischen Volk "die Christen alle Semiten" (Pius XI.). Deshalb wirkt jeder Antisemitismus oder Antijudaismus von Christen geradezu selbstzerstörerisch, denn wie könnte der Weinstock Reben hervorbringen ohne Wurzeln? "Judenhaß ist Christushaß" (A. Laun).

Bei aller Gemeinsamkeit darf jedoch nicht übersehen werden, was Juden und Christen trennt. Für die orthodoxen Juden ist Christus nicht der Messias, der ihnen verheißen wurde, geschweige denn der Sohn Gottes. Die Mehrheit des jüdischen Volkes und seine Führer haben auf das Todesurteil über Christus gedrungen und schließlich bei Pilatus seine Kreuzigung durchgesetzt. Die Osterliturgie samt den Lesungen aus den Evangelien zur Passion Christi erinnert an das geschichtliche Geschehen, aber auch daran, daß der Gottesmord durch Angehörige des jüdischen Volkes der Welt den Erlöser geschenkt hat.

Zum unvermeidlichen Bruch und zur Auseinanderentwicklung der beiden Glaubensgemeinschaften kam es, als die Missionsarbeit der jungen Kirche bei den Heiden sich ausbreiten konnte, an der "Verstocktheit" der meisten Juden und ihrer Schriftgelehrten jedoch scheiterte. Und dennoch ist die Person des Messias, an der sich Judentum und Christentum spalten, auch der Punkt, an dem sie einst auch zusammentreffen werden. Warten die Juden heute noch auf die Ankunft des Messias, so die Christen auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit am Tage der Vollendung der Geschichte. An diesem Tag wird das bekehrte alte, dann aber "neue Israel" an der Spitze der Völker zum Tempel Christi auf dem Berge Zion ziehen, um den einen und dreifaltigen Gott zu ehren.

 

Dr. Friedrich Romig ist Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Berater des St. Pöltener Bischofs Krenn


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen