© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Haider als Vorwand
Warum Paris durch den EU-Boykott die Deutschen disziplinieren will
Bernd-Thomas Ramb

Wenn es Haider nicht gäbe, müßte er erfunden werden – aus der Sicht Frankreichs. Die häufig bis ins Lächerliche reichende Manie, mit der die französische Regierung gegen die österreichische im vereinten Europa vorgeht, wirkt nur vordergründig notwehrhaft. Die oberflächliche Aversion gegen vermeintlich faschistische Anfänge ist für eine kommunistisch-sozialistische Regierung, wie sie in Frankreich besteht, keineswegs eine unvermeidliche Pflichtübung. So werden Haiders angeblich fremdenfeindliche Äußerungen um ein Vielfaches durch offizielle Regierungsverlautbarungen aus Dänemark übertroffen. Die Dänen aber werden geschont, wenigstens solange Dänemark den Club der Österreichboykotteure nicht verläßt. Die wahren Motive der französischen Hetzjagd gegen Haider sind wesentlich subtiler.

Von geringstem Erklärungswert ist dabei die Furcht vor einem Regierungswechsel oder gar einem Rechtsruck in Frankreich. Diese Ängste sind hauptsächlich in Belgien vorherrschend, dessen Mitte-Links-Regierung eine Ablösung durch den rechten Vlaams-Blok droht. Ob der belgischen Regierung aber die irrsinnige Diffamierungskampagne gegen Österreich zum Überleben helfen wird, ist mehr als fraglich. Vielmehr besteht die Gefahr, daß die belgische Bevölkerung wie die dänische empfindsam auf das undemokratische Gebaren des EU-Staatenbundes regiert. Das könnte dann den Untergang der belgisch-sozialistischen Herrschaft sogar beschleunigen. Sicher hat auch die französisch-kommunistische Regierung ihre Probleme des Machterhalts. Nahezu militante Massenproteste der linken Regierungsanhänger gegen die Bildungs- und Sparpolitik blockieren aber eher notwendige Reformen in Frankreich, denn die Gefahr des Regierungsverlusts sucht die Jospin-Regierung durch Apathie zu bannen. Ein plumpes Ablenken auf ausländische Gefahren hilft angesichts der von den Franzosen allein als inländisch erkannten Probleme wenig und entspricht zudem kaum filigraner Kunst französischer Diplomatie. Zu denken gibt dagegen, daß sich selbst der konservative französische Staatspräsident Chirac in die kommunistisch-sozialistischen Entourage begibt und den antidemokratischen Amoklauf nicht nur mitträgt, sondern sogar an vorderster Front vehement unterstützt. Für ihn müßte eigentlich eine Schwächung der französischen Kommunisten und Sozialisten wünschenswert sein. Offensichtlich wiegen aber die übergeordneten französischen Interessen an dieser Kampagne stärker. Welcher Art diese sind, wird zur Zeit nur verhalten diskutiert.

Zuoberst steht die permanente französische Furcht vor einem germanischen Block in Europa. Die beschworene Allianz gegen Österreich soll nicht nur nebensächlich die Fähigkeit Deutschlands testen, sich weiterhin französischen Begehren zu unterwerfen. Man prügelt also auf den Esel ein, um die Duldungsfähigkeit des Herrn zu prüfen. Das Lamento des deutschen Bundeskanzlers, wenn sich Deutschland der Anti-Haider-Kampagne nicht anschlösse, drohe internationale Isolierung, liefert (unfreiwillig?) beredtes Zeugnis. Das französische Trauma besteht jedoch gerade im Gegenteil, in der Angst vor der eigenen Isolierung – nicht nur in Europa gegenüber einer EU-Fraktion aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Finnland, Niederlande, eventuell verstärkt durch Großbritannien und Schweden, sondern auch weltweit. Frankreich vermeint seine schwindende globale Stärke nur durch seine europäische Vorherrschaft abwenden zu können.

Damit wird auch die Hinhaltetaktik Frankreichs in der Frage der Erweiterung der EU erklärbar. Der Beitritt der mitteleuropäischen Staaten nutzt vornehmlich deren Anrainern Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Sie gewinnen nicht nur durch die zusätzlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern auch durch eine kulturelle Verstärkung im multikulturellen Europa. Beides erschreckt Frankreich und intensiviert seine Suche nach Verhinderungsstrategien. Die eine besteht im Ausbremsen der europäischen Entwicklung. Dabei könnte sich Österreich mit seinen von Frankreich provozierten EU-Blockadedrohungen als nützlicher Handlanger erweisen, der nicht nur indirekt Frankreichs Wünsche erfüllt, sondern auch noch die Rolle des Bösewichts übernimmt. Eine zweite Strategie besteht in dem Bestreben, ein Kerneuropa zu schaffen, das vornehmlich von Deutschland und Frankreich gebildet wird. Auch hier liegt die Ratio in der Zielsetzung, Deutschland fest an Frankreich zu binden und damit andere Allianzen zu verhindern.

Österreichs Raus-aus-der-EU-Politik, so verständlich sie auch ist, nutzt in erster Linie Frankreich im Kampf gegen die von Deutschland vermeintlich angestrebte Hegemonie in Europa. Deshalb ist jede Provokation Österreichs in Frankreichs Interesse. Die offene Auseinandersetzung mit den Deutschen, denen gerade die D-Mark genommen wurde und die nun auf europäische Kompensationsgeschäfte hoffen, gilt es so lange wie möglich zu verhindern. Präpariert ist Frankreich aber auch dafür, wie der Titel eines Buches offenbart, das der ehemalige Sicherheitsberater im französischen Außenministerium, Phillipe Delmas, letztes Jahr veröffentlichte: "Über den nächsten Krieg mit Deutschland".


 
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