© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
PRO&CONTRA
Schutz der deutschen Sprache?
Rolf Hochhuth / Armin Niedermeier

Es wird kommen, wie der Basler Historiker Jacob Burckhardt es im Winter 1872 dem Verein junger Kaufleute seiner Heimatstadt prophezeit hat: Zugunsten des Englischen als Weltsprache werde das Deutsche verschwinden; die Rettung deutscher Bücher könne "allein in ihrer Übersetzung ins Englische liegen".

Der vorauseilende Gehorsam der deutschen Berufs-Europäer, das heißt heute: der Anpasser – als ob nicht de Gaulles allein realistisches und humanes Modell eines Europas der Vaterländer genüge! – hat ja schon in zahllosen Firmen angeordnet, Englisch sei die Konzernsprache auch in Deutschland.

Dabei, so noch einmal Burckhardt, ist "die Sprache der vollkommenste Ausdruck des Volkscharakters und sodann schlechthin die Macht, die einem Volk bleibende und unverwechselbare Eigenschaften verleiht und erhält. Wir denken in unserer deutschen Sprache vollkommen anders, als sich in der französischen oder englischen Sprache denken läßt. (…) Die Sprache ist ein politisches Wirkungsmittel ohnegleichen..."

Gegen eine weltweit marschierende Globalisierung, gegen die Epidemie unseres Einheitswahnes gibt es keine eindringlichere Warnung: Wir Menschen sollten nicht zur Vereinigung aller kommen wollen, zum Einheitsstaat, zur Universalsprache. Ob nicht in dem Maß, in dem das Englische die Weltmacht wurde, auch ihm gesundheitshalber zustoßen sollte, was noch stets Weltmächte allein humanisiert hat: ihre Zersetzung, ihre Aufteilung? Ist nicht heute schon das Englische, alle bedrückend, kurz davor, eine Alleinherrschaft auszuüben? Kein Däne, Pole oder Serbe kann doch heute noch die Illusion haben, seine Sprache würde in einem vereinten Europa nicht zum provinziellen Dialekt verkümmern. Es geht um diese Ein-Reich-ein-Slang-Schwärmerei, die unsere Epoche ebenso das Hirn lähmt wie noch stets große Parolen früherer Zeiten in Katasthrophen geführt haben.

 

Rolf Hochhuth, Dramatiker und Eigentümer des Berliner Ensemble, wurde durch seine kritischen Skandalstücke bekannt.

 

 

Ludwig M. Eichinger, mein Professor für Sprachwissenschaft, hat in seinen Vorlesungen gerne angemerkt, daß sich die deutsche Sprache seit der Zeit Goethes in einem Prozeß des kontinuierlichen Verfalls befinde. Ein Wunder, daß man sich nach rund zweihundert Jahren permanennten Sprachverfalls überhaupt noch unterhalten könne! Also die Vorstellung, daß man eine Sprache vor sich selbst, bzw. ihren Nutzern schützen müsse, ist nicht neu. Sprache hat sich zu allen Zeiten entwickelt und gewandelt. Unsere Lebensumstände verändern sich, und damit muß auch Sprache sich verändern. Denn würde sie sich nicht anpassen, könnten wir über bestimmte Themen irgendwann nicht mehr miteinander kommunizieren: Uns würden schlichtweg im wahrsten Sinne des Wortes die Worte fehlen.

Was nun den Einfluß der Anglizismen auf die deutsche Sprache angeht, wird das Phänömen aus meiner Sicht zu sehr dramatisiert. Der Einfluß fremder Sprachen auf das Deutsche ist so wenig neu wie ungewöhnlich. So diskutieren wir, ohne uns mental zu verbiegen, diffizile Probleme und können partout nichts schlimmes dabei finden, ein Portemonnaie zu verwenden oder in einer Maisonette-Wohnung zu logieren. Haben im Lauf der Jahrhunderte die stilprägende französische Kultur und das klassische Latein das Deutsche bereichert, hat sich in diesem Jahrhundert, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, ein zunehmender Einfluß des angloamerikanischen Vokabulars in unserer Sprache bemerkbar gemacht. O.K., wie wir Teile des Lifestyles übernommen haben von Fastfood über Aerobic bis hin zu Breakdance und Jogging, so haben wir auch das dazugehörige Vokabular übernommen.

Die deutsche Sprache entwickelt sich weiter und integriert neue Einflüsse, zu denen auch Anglizismen gehören. Das zeigt, daß sie lebendig ist und funktioniert. Insoweit muß die Sprache nicht geschützt werden, sie kann sich gut selbst behaupten.

 

Armin Niedermeier, Diplom-Kulturwirt, ist Pressesprecher der Deutschen Bank in Frankfurt.


 
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