© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Manöver im Mai
von Dieter Stein

Der 1. Mai gehört mit brennenden Autos und Straßenschlachten zu Berlin wie das Oktoberfest mit Bierleichen zu München. 6.400 Polizisten mußten in Berlin dafür sorgen, daß Kundgebungen und Aufmärsche aller nur denkbaren politischen Richtungen weitgehend friedlich abliefen. Dennoch kam es schlußendlich wieder zu Ausschreitungen, bei denen mehr als 100 Polizisten verletzt wurden.

Soll man sich aber wirklich noch über die alljährlichen folkloristischen Aufmärsche der extremen Linken, neuerdings flankiert von NPD-Bodentruppen, empören? Wenn es nicht immer wieder zu Verletzten und großen Sachschäden käme, erinnerte das Schauspiel an die Frühjahrsmanöver der Streitkräfte: Rot gegen Blau. Beide Seiten überprüfen das Funktionieren der Logistik und die Einsatzfähigkeit ihrer Einheiten. Besonders die Autonome Linke steht unter einem gewissen Legitimationsdruck. Sie ist gezwungen, am 1. Mai zu zeigen, weshalb sie überhaupt noch da ist, weil ihr dank der rot-grünen Regierung die Angriffsflächen abhanden gekommen sind. Es sind Krawalle notwendig, um nicht von den eigenen Sympathisanten als Warmduscher und Schattenparker abgeschrieben zu werden.

Für die Polizisten bedeutet der 1. Mai ärgerliche Überstunden und bange Stunden für die Familienangehörigen, ob der Diensttuende wieder gesund vom Einsatz zurückkehrt. Die Frauen und Männer in grün, deren Namen keiner nennt, schützen an diesem Tag Sicherheit und Ordnung – und das Recht auf Versammlungsfreiheit.


 
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