© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Mäzene sind nicht in Sicht
Fördergelder für deutsche Heimatvertriebene werden gekürzt / Einrichtungen müssen zum 30. Juni schließen
Alexander Schmidt

Imanuel Kant, Joseph von Eichendorff, Ernst Moritz Arndt und Carl Friedrich Goerdeler gehören zu der Vielzahl von bekannten Namen von Deutschen, die aus dem ehemaligen Osten kamen. Genauso gehören auch Dichter und Künstler wie Celan, Rilke oder Gustav Mahler, nicht zuletzt Alfred Kubin in eine Region, die über Jahrhunderte zum deutschen Kulturraum gehörte und immer mehr in Vergessenheit zu geraten droht, nicht zuletzt dadurch, daß Kulturpolitik – in besonderem Maße die aus konservativer Sicht – immer mehr ins Abseits gerät.

Eine Situation, die von den Vertriebenen lange befürchtet wurde ist nun eingetreten. Der Staatsminister für Kultur im Kanzleramt, Michael Naumann (SPD), geht mit einer Harke durch die Kulturlandschaft und hat sich nach den Goethe-Instituten und der Stiftung Deutschlandhaus jetzt die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen sowie den Ostdeutschen Kulturrat vorgenommen und Förderungsgelder ab dem 30. Juni auf Eis gelegt.

Damit fallen für die beiden Stiftungen öffentliche Mittel von je 1,2 Millionen Mark jährlich weg. So bleiben dem Ostdeutschen Kulturrat künftig nur noch die Erlöse aus dem Stiftungsvermögen, die sich auf etwa 300.000 Mark jährlich belaufen, einen institutionellen Haushalt gibt es nicht mehr. Mindestens die Hälfte aller Mitarbeiter müssen entlassen werden, wenn die Arbeit fortgeführt werden soll, sagt der Geschäftsführer des Kulturrats, Albrecht Jebens, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT.

Die Kulturstiftung der Vertriebenen muß ihre Arbeit sogar komplett einstellen, ein Stiftungsvermögen existiert nicht. Den zwölf Mitarbeitern im Haus wurde bereits gekündigt. Der Schaden, der durch die Streichungen entsteht, ist zur Zeit noch nicht absehbar. Im Haus der Kulturstiftung herrscht über die Entscheidung allgemeines Unverständnis, daß ohne mit einem der Beteiligten gesprochen zu haben, die zwölf Arbeitsplätze zerstört werden. Die Arbeit stoße zur Zeit nämlich auf ein großes öffentliches Interesse.

Der Gedanke, durch Fusionen stärker zu werden, ist auf diesem Gebiet noch nicht ausgeprägt. Immer noch hoffen kleine Stiftungen und Institute, vor den Streichungen fliehen zu können, bevorstehende Zusammenschlüsse scheitern oftmals aus Eitelkeiten sowie rechtlichen Problemen Beide Stiftungen haben im ehemaligen Osten Deutschlands beste Kontakte und gelten dort als Partner für eine gemeinsame Arbeit zwischen Ostdeutschen und Polen. Der Ostdeutsche Kulturrat veranstaltet regelmäßig bi-nationale Tagungen und bemüht sich auf kulturpolitischer Ebene "um die wissenschaftliche und öffentlichkeitswirksame Vertiefung des deutschen Erbes", so Jebens. Die werden jetzt ebenso wegfallen müssen wie viele der Publikationen, darunter wissenschaftliche Buchreihen und Stadtportraits. Beibehalten werden kann voraussichtlich nur der Pressedienst "Kulturpolitische Korrespondenz"; und die Wanderausstellung "Große Deutsche aus dem Osten".

"Unsere Nachbarn fassen sich an den Kopf", schildert Jebens die ersten Reaktionen von deutschen, polnischen, russischen, tschechischen und litauischen Partnern, nicht zuletzt aus der Gegend um Breslau und Stettin, Allenstein und Danzig sowie Königsberg und Riga.

Damit ist die Situation eingetreten, vor der viele Vertriebene seit Jahren gewarnt haben, aber niemand wirklich Konsequenzen gezogen hat. "Es war eine politische Naivität der Vertriebenenverbände, sich allein auf den Staat zu verlassen", resümiert Jebens. Für ihn ist die Kürzung der Gelder eine rein politische Entscheidung, mit der die politische Wirksamkeit der ostdeutschen Kulturarbeit weiter gegen Null gebracht werden soll. Im Ministerium dagegen heißt es, daß lediglich sachliche Gründe in die Entscheidung spielten. Fakt ist, daß es nach dem 30. Juni keine übergreifende Stiftung mehr gibt, die das kulturelle Erbe des Ostens weitergibt. Der Gedanke der Bundesregierung, beide Stiftungen in eine neu zu gründende "Kulturstiftung östliches Europa" zu übernehmen, ist bereits wieder verworfen worden. "Das noch lebendige Kulturerbe soll im Grunde damit musealisiert und in den Elfenbeinturm der Wissenschaft eingesperrt werden, so daß wirklich lebendige Identifikationspunkte fehlen", schildert der Geschäftsführer des Ostdeutschen Kulturrates die Situation.

Unverständlich ist für ihn, wie 700 Jahre deutscher Geschichte innerhalb von nur 50 Jahren nahezu vollständig aufgegeben werden können. "Das ist eine kulturelle Katastrophe, ein Zusammenbruch von nationaler Selbstbehauptung, der einem Kulturvolk auch von ausländischen Partnern nicht abgenommen wird", sagt Jebens. Das Anliegen der Stiftung, ohne revanchistische Hintergedanken das Wissen um die Menschen, Kultur und Heimat im Osten geistig am Leben zu halten, würde so zu einer rein privaten Sache. Ein Mäzen, der sich um die Anliegen der Stiftung kümmert und die Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen garantiert, ist nicht in Sicht. Nur so kann aber die Arbeit gerettet werden.


 
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