© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
"Zulässige Differenzierung"
Deutsche Vertreibungsopfer müssen Kürzungen ihrer Renten hinnehmen
Felix Kilian

Bei deutschen Austreibungsopfern sind staatliche Institutionen in der Bundesrepublik anscheinend ohne große Bedenken dazu bereit, gesetzliche Ungleichbehandlung von Menschen hinzunehmen. Der Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Gleichbehandlung aller vor Recht und Gesetz wird in solchem Falle als "zulässige Differenzierung" gerechtfertigt. Dies jedenfalls zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Initiative der Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg zu Rentenkürzungen bei Vertriebenen durch die dortige CDU/FDP-Landesregierung.

Die JUNGE FREIHEIT hatte am 24. März darüber berichtet, daß deutsche Staatsbürger, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in den Ostprovinzen des Deutschen Reiches gearbeitet und dort Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet haben, eine teilweise drastische Kürzung ihrer Renten hinnehmen müssen, wenn sie nach dem 19. Mai 2000 ihren Wohnsitz außerhalb der heutigen Bundesrepublik verlagert haben bzw. planen, künftig ins Ausland zu ziehen. Von dieser gesetzlichen Regelung nicht betroffen sind dagegen alle Deutschen, die bis zum 8. Mai 1945 Rentenansprüche auf dem Territorium des Deutschen Reiches erwarben, welches die heutige Bundesrepublik bildet.

In ihrer Antwort räumte die Stuttgarter Landesregierung die Benachteiligung der Austreibungsopfer aus den Ostprovinzen, aber auch aus den anderen Austreibungsgebieten, ein. Ihnen werde die Rente nur noch ohne denjenigen Anteil gezahlt, der auf Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bzw. den Versicherungszeiten in den deutschen Ostprovinzen beruht. Bei einem Umzug ins Ausland ergäben sich dadurch "zum Teil erhebliche Rentenminderungen". Versicherungszeiten in den früheren reichsdeutschen Gebieten außerhalb der heutigen Bundesrepublik könnten bei einer Rentenzahlung ins Ausland nicht mehr berücksichtigt werden. Nach dem Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 sind Zeiten nach dem Fremdrentengesetz sowie Reichsgebietsbeitragszeiten nur noch solche außerhalb des Bundesgebietes. Diese seien jedoch "vom Export der (Renten-)Leistung ins Ausland" ausgenommen.

Indes verteidigt CDU-Sozialminister Repnik die getroffene Vereinbarung. Diese Regelung sei "im Hinblick auf die Finanzierung der Renten gerechtfertigt". Rentenrechtlich relevante Zeiten, die außerhalb der heutigen Bundesrepublik zurückgelegt wurden, sollten nur dann rentensteigernd berücksichtigt werden, wenn sich der Berechtigte in der Bundesrepublik auch ständig aufhalte.

Im Stuttgarter Sozialministerium verweist man auf die angeblich "geringe Zahl" der von dieser Vereinbarung Betroffenen. Nach Angaben der Landesversicherungsanstalt Württemberg handele es sich in deren Zuständigkeitsbereich "allenfalls um 100 Fälle im Jahr". Dabei sei zu berücksichtigen, daß bloß angehörige derGeburtsjahrgänge bis längstens 1931 und früher von der Thematik betroffen seien.

Auf die Frage, ob es sich nach Ansicht der Landesregierung dabei um eine gesetzlich festgeschriebene Ungleichbehandlung von Staatsbürgern handele, fällt die Antwort eindeutig aus. Die genannte Regelung sei nach Auffassung der Landesregierung eine "zulässige Differenzierung", weil es sich um einen klar abgegrenzten Personenkreis handele und es ferner darauf ankäme, in welchem Gebiet die jeweiligen Zeiten zurückgelegt wurden und wo der einzelne Rentenberechtigte seinen Wohnsitz habe.

Die Republikaner wollen sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben: "Unser Grundgesetz ist an dieser Stelle eindeutig", sagte der Abgeordnete Michael Herbricht. "Niemand darf wegen seiner Abstammung, Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Meiner Meinung nach liegt hier jedoch eine eklatante Benachteiligung einer kleinen Minderheit aufgrund ihrer Herkunft aus den Austreibungsgebieten vor. Diese Menschen werden vom Staat ohne eine wirklich plausible Begründung unter bestimmten Umständen um einen Teil ihrer Rente betrogen. Hier gilt es zu überprüfen, inwiefern dies einen Verstoß gegen die Verfassung darstellt."

Eine Nachfrage beim Bund der Vertriebenen blieb ergebnislos. Die Sprecherin erklärte, sie sei nicht autorisiert, sich zu den Rentenkürzungen bei Vertriebenen zu äußern.

Inzwischen kündigten die Republikaner einen weiteren Parlamentsantrag zu diesem Thema an. Darin soll die Landesregierung aufgefordert werden, über den Bundesrat initiativ zu werden, um die bestehende Benachteiligung der von der Rentenkürzung Betroffenen rückgängig zu machen.


 
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