© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Moralische Erpressung
Auch neugegründete Firmen sollen jetzt in den Zwangsarbeiterfonds der deutschen Wirtschaft einzahlen
Claus Nordbruch

Vor wenigen Tagen sind in Deutschland auf die Schreibtische der Geschäftsführer Hunderttausender mittelständischer Betriebe Briefe der jeweiligen Innung geflattert. Darin teilt der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) mit, daß die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft  mit dem vielversprechenden Namen "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" "einen Ausgleich für das an den ehemaligen Zwangsarbeitern und Verfolgten unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangene Unrecht leisten" wolle.

Was der mit vermeintlich politisch-moralischer Intention abgefaßte Aufruf besonders delikat macht, ist die ausdrückliche Erwähnung, daß er sich an alle deutsche Firmen und Betriebe richtet, "unabhängig von der Geschichte des jeweils eigenen Unternehmens, unabhängig davon, ob sie Zwangsarbeiter beschäftigt hatten". Unzulässig verallgemeinernd wird nicht unterschieden zwischen Fremdarbeitern, die sich zudem meist freiwillig zur Arbeit in Deutschland gemeldet hatten, und solchen, die als Sträflinge bzw. Häftlinge in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten Arbeiten verrichteten. Ebenfalls bleibt in dem Schreiben unberücksichtigt, daß ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland nach Tarif entlohnt wurden und, wie ihre deutschen Kollegen auch, sozial-, kranken-, unfall-, und invalidenversichert waren. Welch ein Unterschied zu den Verhältnissen, unter denen deutsche Zwangsarbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise in Frankreich, der Sowjetunion, Polen und in der Tschechoslowakei unter unmenschlichen Bedingungen zu schuften hatten!

Das interessiert die Stiftungsinitiative freilich nicht. Im Gegenteil, gerade auch die jungen Unternehmen, auch wenn sie nie Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, seien angesprochen. Dies erstaunt angesichts der katastrophalen Ausmaße von Pleiten, Konkurse und Vergleiche – bundesweit immerhin durchschnittlich rund 3.000 pro Monat. Gerade junge Unternehmen, also solche, die nicht älter als acht Jahre sind, sind von dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch betroffen. Es gehe um einen Akt der Solidarität! Eine groteske Umwandlung der Formel Gemeinnutz ginge vor Eigennutz.

Kräftig soll in die Tasche gegriffen werden, Almosen würden keine erwartet werden: In den "Spenden sollte sich der Respekt vor dem erlittenen Unrecht der Betroffenen ausdrücken". Schließlich – und da ist man sich nicht zu schade, patriotisch zu "argumentieren" –, gehe es "um die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der deutschen Wirtschaft", oder wie die Industrie- und Handelskammer ihre Mitglieder ermahnt: Mit dem Erfolg der Initiative sei "das Ansehen der deutschen Wirtschaft im Ausland verbunden".

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, hebt denn auch mahnend den Zeigefinger und entblödet sich nicht festzustellen: "Symbolische Beiträge verbieten sich schon allein wegen des hohen öffentlichen Interesses und der Notwendigkeit, sich an einer Sonderaktion zu beteiligen." Allerdings geht Henkel aber doch nicht soweit, die angemessene Höhe des von ihm erwarteten Beitrages der freiwilligen Spende vorzuschreiben. Schenkt man den Worten des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft Glauben, würde mit der Initiative gar das Ansehen der deutschen Wirtschaft im Ausland gestärkt werden! Naiv, wer da dachte, die Reputation einer Wirtschaftsmacht werde durch die Qualität ihrer jeweiligen Produkte und Dienstleistungen bestimmt.

Eile ist angesagt. Zügig müsse die "Unterstützung" erfolgen, "denn die Zeit wird für viele Betroffene knapp". Doch drängt sich die Vermutung auf, daß es gar nicht die "Betroffenen" sind, die nun verspätet Ansprüche geltend machen. Wie kontrolliert die Bundesregierung eigentlich die seit Jahrzehnten auf Monatsbasis hunderttausendfach erfolgende Auszahlungen vor allem in die USA, Israel, Südamerika, Australien und Südafrika?

So unberechtigt ist diese Frage nicht. Präsident Henkel meint, daß zum Ende des 20. Jahrhunderts "noch einmal ein Zeichen gesetzt werden solle. Offenbar sind in der Vergangenheit, während der gesamten Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht genügend derartiger Zeichen gesetzt worden. Es wundert nicht, daß jene Stimmen immer lauter werden, die meinen, es gehe offensichtlich nur darum, die Bundesrepublik Deutschland zum internationalen Knecht zu machen, sich die deutsche Arbeitsleistung zu lukrativen Diensten zu erhalten. Es gelte offenbar aus rein materialistischen Gründen, eine ewige Kollektivschuld zu festigen: Den Worten Henkels zufolge gehe es tatsächlich "um die Anerkennung einer moralischen Verantwortung, die die deutsche Wirtschaft als ganze und das deutsche Volk betrifft".

Hält man sich vor Augen, daß seit Februar 1999 Wiedergutmachungsansprüche vererbbar sind, wird vollends deutlich, daß es längst nicht mehr um Opfer oder deren Entschädigung geht. Die Dämme sind gebrochen: Zur Kasse wird zunehmend für Menschen gebeten, die in ihrem Leben nicht einen Tag Zwangsarbeit verrichtet haben. Es werden in Zukunft nach 1945 geborene Menschen sein, die es zu "entschädigen" gilt. Die Zahlungen werden kein Ende nehmen.


 
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