© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Einsatz rund um den Globus
Kommission empfiehlt den Umbau der Bundeswehr zur UN-Interventionstruppe
Götz Kubitschek

Als eine Agentur vergangenen Montag den Kommentar des Verteidigungsministers Rudolf Scharping zu den Reformvorschlägen der Wehrstrukturkomission verbreitete, unterlief ihr ein vielsagender Schnitzer: Scharping wurde mit den Worten zitiert, er wolle in Kenntnis dieser Vorschläge "einen wohlbegründeten eigenen Vorschlag machen, der die Zukunft der Bundeswehr für die nächsten 15 bis 20 Jahre beseitigt und ihre Mängel sichert."

Die unbeabsichtigte Wortverdrehung bringt das Thema auf den Punkt: Im Ergebnis will die Zukunftskommission unter Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker den strukturellen Umbau der Bundeswehr. Jedoch: Für einen wirklich radikalen Schnitt bringt Weizsäckers Runde den nötigen Mut doch nicht auf.

Ad rem: Die Wehrstrukturkommission wurde von Bundesverteidigungsminister Scharping beauftragt, einen Vorschlag zur zukunftsfähigen Gestaltung der Bundeswehr zu erarbeiten. Die Kommission will am 23. Mai mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten. Im Vorfeld sind nun Rahmendaten bekannt geworden, aus denen drei Reform-Punkte besonders hervorstechen:

1. Der Gesamtumfang der Bundeswehr soll von derzeit 320.000 Soldaten auf 240.000 reduziert werden. Dieser Vorschlag folgt dem Trend der letzten Jahre, die Armee stetig zu verkleinern. Diskussionen um Standortschließungen sind eine Folge, aber noch lange keine strukturelle Reform. Außerdem folgt diese Empfehlung dem Vorbild anderer europäischer Länder, die auf die stark verminderte Bedrohungslage mit Verkleinerung ihrer Streitkräfte reagiert haben.

2. Die Anzahl der Wehrpflichtigen soll von derzeit 130.000 pro Jahrgang auf 30.000 zurückgehen, die Länge der Dienstzeit bleibt bei zehn Monaten. Vor allem gegen diesen Vorschlag brach ein Sturm der Entrüstung los. Er widerspricht auch Scharpings Ankündigung, er wolle die Bundeswehr nur moderat reduzieren, um eine glaubwürdige Wehrpflicht zu erhalten. Bei einer Jahrgangsstärke von 400.000 jungen Männern kann angesichts der Reformvorschläge von Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit keine Rede mehr sein. Ob ein Fünftel oder ein Zehntel eines Jahrgangs eingezogen wird, spielt grundsätzlich keine Rolle bei der Frage, wen es treffen soll. Die Weizsäckerrunde spricht schizophren von einer "Auswahlwehrpflicht" und schlägt Losverfahren vor. Nicht nur dagegen melden Staatsrechtler Bedenken an: So hält Eckart Klein von der Universität Potsdam die geringe Zahl an sich schon für ein Problem, denn die Wehrpflicht könne als "allgemeine Pflicht nicht nur Einzelnen auferlegt werden".

In der Endlosdebatte um die Wehrpflicht muß zwischen grundsätzlichen und praktischen Erwägungen unterschieden werden: Grundsätzlicher Natur sind Argumente, die von der Wehrpflicht als dem ideellen Kern der deutschen Armee sprechen und in ihr eine Schule der Nation sehen. Weniger idealistisch ausgedrückt: Man kann zumindest auf eine hauchdünne Schicht gemeinsamen Erlebens in unserer Gesellschaft verweisen. Viele waren "beim Bund", hat ein paar Geschichten auf Lager, hat etwas abgeleistet.

Die praktischen Argumente berühren vor allem die Qualität des Personals. Untersuchungen haben gezeigt, daß die Bundeswehr im Vergleich zum Ausland intelligenteren Nachwuchs rekrutiert und keine Verengung der Freiwilligen auf ein soziologisches Spektrum zugelassen hat. Dies sei ein Erfolg der Wehrpflicht, so auch CSU-Generalsekretär Goppel. Kritische Stimmen kommen auch aus den Reihen der Paritätischen Wohlfahrtsverbände. Ihr Verbandschef Ulrich Schneider warnt davor, daß mit der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht auch der Zivildienst nicht mehr haltbar sei. Einzig die Grünen stimmen den Vorschlägen der Zukunftskommission zu, fordern darüber hinaus jedoch einen Zeitplan für die völlige Abschaffung der Wehrpflicht. Angesichts der bisher diskutierten Reformvorschläge hat die Forderung der Grünen etwas Schlüssiges: Sie verzichtet auf ein Restchen Wehrpflicht-Kosmetik.

3. Im Zuge der reduzierten Wehrpflicht möchte die Weizsäckerrunde den Anteil der schnell verfügbaren Krisenreaktionskräfte (KRK) von derzeit 50.000 auf 140.000 Mann verdreifacht sehen. Die Umsetzung dieses Vorschlags wäre die zweite tiefgreifende Strukturänderung für die Bundeswehr. Der Chef des Reservistenverbands, Helmut Rauber, spricht von einer "Veränderung der Prioritäten der Sicherheitspolitik weg von der Bündnis- und Landesverteidigung hin zu Interventionen." Interessanterweise hat die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, damit kein Problem: Der Primat der Politik bei der Entscheidung über Auslandseinsätze bleibe bestehen.

Auch bei der Frage der Interventionsstreitkräfte muß grundsätzlich entschieden werden: Wenn sich Deutschland dafür entscheidet, zukünftig international überall mitvertreten zu sein, muß die Entscheidung gegen die Wehrpflicht und für gut aufeinander eingespielte, bestens ausgerüstete Einheiten fallen. Die Landesverteidigung ist bereits jetzt ins siebzehnte Glied der Prioritätenliste gerutscht, eine Aufstockung der KRK wäre konsequent. Allerdings – und dagegen kommt auch der poltische Wille nicht an – wird es schwer sein, in Deutschland derzeit genügend junge Männer für den ständigen Wechsel von zwei Jahren Ausbildung und einem halben Jahr Einsatz zu begeistern. Schon jetzt füllt man die Einsatzkontingente nur mit letzter Kraft.

Neben den drei wichtigsten Reformvorschlägen hat die Wehrstrukturkommission noch andere Änderungen angeregt: Der Reduzierung der Zivilangestellten um ein Drittel auf 80.000 dürfte jeder gerne zustimmen, ebenso einer Erhöhung des Verteidigungshaushaltes zur dringenden Modernisierung der Armee. Außerdem soll das Verteidigungsministerium nach Berlin verlagert werden. Interessant ist auch der Vorschlag, die Stellung des Generalinspekteurs zu stärken und ihm unter anderem die militärische Führung der Einsätze zu übergeben: Man spricht bereits von einem "Mini-Generalstab".

Aber all diese sinnvollen Reformschritte werden neben dem Gedröhne eines Grabenkrieges um die Wehrpflicht keine Rolle spielen. Sowohl Scharping als auch der Generalinspekteur der Bundeswehr von Kirchbach unterbreiteten bisher keine eigenen Vorschläge: Von Kirchbach möchte bei 85.000 Wehrpflichtigen bleiben, dafür die Dauer der Dienstzeit auf neun Monate senken, Scharping spricht von etwa 55.000 Wehrpflichtigen. In der Debatte werden wiederum die idealistischen Grundsatzkritiker im Hintertreffen sein. Die Technokraten in Uniform, die das Machbare tun, sind nun die neuen Götzen.


 
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