© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Der unbekannte Soldat
Dieter Stein

Was löste der 50. Jahrestag der totalen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht vom 8. Mai 1945 im Jahre 1995 für eine heiße Debatte aus. So manche Schlacht wurde über großformatige Zeitungsanzeigen ausgetragen. Rainer Zitelmann, heute bei der Welt verantwortlich für den Immobilienteil, organisierte damals eine Phalanx "Wider das Vergessen", eine stattliche Zahl von Hunderten Unterstützern im Rahmen eines Appells, der davor warnte, den 8. Mai 1945 als "Tag der Befreiung" zu verharmlosen. Diese Initiative wurde von den deutschen Feuilletons eingekreist und als rechtskonservativer Affront ausgeschaltet. Eine in München geplante Großveranstaltung wurde aus Furcht vor Ausschreitungen abgeblasen.

Die Anti-Wehrmachtsausstellung von Reemtsmas "Hamburger Institut für Sozialforschung" bedeutete dann auch eine Art Rollback gegen diesen Zitelmannschen Appell. Den Flurschaden, den diese Ausstellung in den Köpfen gerade junger Menschen angerichtet hat, die zu Tausenden durch dieses zeitgeschichtliche Gruselkabinett geschleust wurden, kann man immer noch nicht ganz ermessen. Jedenfalls wurde die Schau im Jahre des ersten deutschen Angriffseinsatzes der Bundeswehr auf dem Balkan zu einem peinlichen Anachronimsus und nach gravierenden Fälschungsvorwürfen vom Markt genommen.

Rudolf Scharping, der amtierende Verteidigungsminister, dem sicherlich Didi Thurau mehr sagt als Heinz Guderian, hat am 8. Mai 2000 medienwirksam die Rendsburger Rüdel-Kaserne umbenannt und ihr den Namen des 1942 hingerichteten Feldwebels Anton Schmid gegeben. Schmid hatte Massenmorde an Juden im Baltikum miterlebt und sich zu Widerstandstätigkeit entschlossen.

Daß die Bundeswehr die Tradition des militärischen Widerstandes gegen Hitler ehrt, ist gut und richtig. Es ist aber unpolitisch, sich quasi die Rosinen aus der militärischen Tradition herauszupicken und sich darum herumzudrücken, auch den Frontsoldaten oder den militärischen Führer aller Zeiten der deutschen Geschichte zu ehren. Es ist auch wohl kaum anzunehmen, daß die Armee der demokratischen Bundesrepublik in eine Sitution kommen könnte, die der Feldwebel 1942 in Litauen erlebt hat.

Nachdem der militärische Zusammenbruch des 8. Mai 1945 bereits seit über einem halben Jahrhundert Geschichte ist, sollte es längst selbstverständlich sein, sich auch wieder von öffentlicher, staatlicher Seite vor dem unbekannten Soldaten zu verneigen und ihn vor Verleumdung in Schutz zu nehmen. Wie viele Ehrenmäler verkommen, sind verschmiert und geschändet? Warum wird nicht gerade am 8. Mai 1945 beispielhaft der Marinesoldaten gedacht, die nicht fahnenflüchtig wurden und es bis zuletzt ermöglichten, daß Hunderttausende auf der Flucht vor der Roten Armee über die Ostsee entkommen konnten? Es muß beides möglich sein: Erinnerung an den unbekannten Soldaten und Einzelbeispiele vorbildlichen Widerstandes.


 
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