© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Brüssel normiert den europäischen Menschen
Die EU-Kommission setzt über "Antirassismus"-Initiativen Nationalstaaten politisch unter Druck
Michael Wiesberg

Der französische Wissenschaftler Albert Memmi schreibt in seinem Buch "Rassismus" (Frankfurt/Main 1992), daß die "Aufdeckung des Rassismus vor allem in uns selbst, um ihn in unseren eigenen Verhalten zu bekämpfen, der beste Weg ist, um schließlich seinen Rückgang bei anderen zu erreichen. Er ist eine Vorbereitung und zugleich der Preis, den wir von vornherein entrichten müssen. Der Antirassismus ist zunächst eine geistige Hygiene." Weiter schreibt Memmi, der "Kampf gegen den Rassismus erfordert eine fortwährende pädagogische Anstrengung von der Kindheit bis in den Tod".

Memmi wird eine Art Interpretationsprivileg im Hinblick auf den Begriff "Rassismus" zugeschrieben. Nach Memmi ist Rassismus als "pauschale Bewertung real oder lediglich im Vorurteil existierender Unterschiede zwischen Menschen zum Vorteil des Betrachters und zum Nachteil des Opfers" zu definieren. Diese Unterschiede soll der "Rassist", so wie ihn Memmi definiert, vor allem an drei Punkten festmachen: Einmal gebe es aus Sicht des Rassisten "reine" Rassen, die deshalb von anderen unterschieden sind. Diese "reinen Rassen" seien anderen biologisch überlegen. Diese Überlegenheit äußere sich aus Sicht des Rassisten in psychologischer, gesellschaftlicher, kultureller oder geistiger Hinsicht. Diese Aspekte der Überlegenheit erklärten und legitimierten die Herrschaft und die Privilegien der "höherstehenden Gruppe".

Die "pädagogische Anstrengung von der Kindheit bis in den Tod" zur Bekämpfung des "Rassismus", die vom Memmi eingefordert wird, hat in der Europäischen Union willige Vollstrecker gefunden. Inzwischen gibt es eine nicht mehr zu überblickende Flut von Aktionsprogrammen und -plänen, Richtlinienentwürfen und Beobachtungsstellen, die alle nur einem Ziel dienen: den angeblich überall in der EU grassierenden Rassismus endlich mit Stumpf und Stiel auszurotten. So stellt zum Beispiel der "Aktionsplan gegen Rassismus" vom 25. März 1998 fest, daß das Fortbestehen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus überall in der Europäischen Union ein "großes Problem" darstelle.

Als Beleg für diese Behauptung wird die Euro-Barometer-Meinungsumfrage von 1997 herangezogen, nach der sich rund ein Drittel der Befragten als "ziemlich rassistisch" oder "sehr rassistisch" bezeichnet haben sollen. Was hier im einzelnen unter "rassistisch" zu verstehen ist, wird freilich nicht weiter definiert. Aus der Sicht der europäischen Insitutionen sind fragwürdige Umfrageergebnisse wie das genannte Anlaß und Grund für weitreichende Erziehungsprogramme, für die allerdings erst der Amsterdamer Vertrag die Rechtsgrundlagen geschaffen hat.

EU will mit Verboten Verhaltensweisen ändern

Die sogenannte Antidiskriminierungsklausel in Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages eröffnet die Möglichkeit, "geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung auf der Grundlage von Vorschlägen der Kommission zu bekämpfen". Diese Klausel des Amsterdamer Vertrages ist durch das "Europäische Jahr gegen den Rassismus" (1997) vorbereitet worden, in dessen "Erfolgsbilanz" nach Ausführungen des angesprochenen "Aktionsplan gegen Rassismus" allen Ernstes aufgeführt wird, daß fünf junge Inline-Skater 11.000 Kilometer durch 15 Länder und fünf Kontinente liefen, um die Antirassismus-Botschaft im Rahmen des Projekts "One Globe – One Skate" zu verbreiten. Ihre Botschaft soll via Fernsehausstrahlung 63 Millionen Zuschauer erreicht haben.

Dem volkspädagogischen Aspekt, den Memmi so dringend empfiehlt, haben die sich derzeit noch im "Geschäftsgang" befindlichen Richtlinienvorschläge der EU-Kommission voll Rechnung getragen. So steht im Begründungsteil des Vorschlages für eine "Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft" vom 25. November 1999 zu lesen, "daß mit Antirassismusgesetzen die Einstellungen der Menschen nachhaltig beeinflußt werden können". Noch eindeutiger sind die Auskünfte in der "Mitteilung der Kommission über bestimmte Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen" vom selben Tage, in der ausgeführt wird, daß Diskriminierungsverbote ein wesentlicher Bestandteil einer wirksamen Strategie seien, "mit der ein Wandel der Einstellungen und Verhaltensweisen erreicht werden soll, da solche Verbote unmißverständlich deutlich machen, welches Verhalten in der Gesellschaft akzeptiert wird und welches nicht". Diese Verbote alleine reichten aber nicht aus, sie müßten durch konkrete Rechtsvorschriften ergänzt werden, "die es den Akteuren ermöglichen, aus Erfolgen und Mißerfolgen anderer zu lernen und darauf aufzubauen, wenn sie mit eigenen Aktionen auf lokaler Ebene (…) gegen Diskriminierungen vorgehen".

Rassismus-Bekämpfung als Querschnittsaufgabe

Weiter wird in dem Richtlinienentwurf darauf verwiesen, daß deutlich gemacht werden müsse, wie wichtig es sei, "die Bekämpfung des Rassismus zu einer Querschnittsaufgabe (in der EU-Sprache: ’Mainstreaming‘) der gesamten europäischen Politik zu machen". Angestrebt wird eine Partnerschaft zwischen den europäischen Institutionen und "sämtlichen Akteuren, sowohl auf der Ebene der Regierungen als auch auf Nichtregierungsorganisationen, die durch entsprechende legislative Maßnahmen zu begleiten sind. Die Notwendigkeit dieser Querschnittsaufgabe wird so begründet: "Die Kommission teilt die Auffassung, daß möglichst viele Bereiche erfaßt werden müssen, wenn man einen signifikanten Beitrag zum Abbau von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa leisten will. Die Europäische Union hat erkannt – nicht zuletzt im Kontext einer koordinierten Beschäftigungsstrategie –, daß eine Teilhabe am wirtschaftlichen Leben häufig Vorbedingung für eine erfolgreiche weitergehende soziale Eingliederung" sei. Dabei falle auch den Sozialschutzsystemen eine "fundamentale Rolle" zu, die den sozialen Zusammenhalt gewährleisteten. Begründung: "Diskriminierungen in bezug auf den Zugang zu Sozialleistungen und anderen Formen der Unterstützung im Rahmen der Sozialschutzsysteme leisten einer Marginalisierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten und Menschen mit Zuwanderer-Herkunft Vorschub."

Alle diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, "soziale Ausgrenzung zu vermeiden und eine Teilhabe am sozialen Leben sicherzustellen". Weiter soll gewährleistet werden, daß die Unternehmen die qualifiziertesten Mitarbeiter zu Verfügung haben, "was wiederum zur Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der Unternehmen und der Wirtschaft generell beiträgt". Da die Kommission aber den Arbeitgebern nicht über den Weg traut, verlangt sie von diesen in ihrem Richtlinienvorschlag, daß diese ihre Entscheidungen hinsichtlich Personaleinstellungen, Beförderungen oder Zugang zu berufsbildenden Maßnahmen zu begründen haben. Als Argument für diese inquisitorische Maßnahme wird bezeichnenderweise die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit ethnischer Minoritäten in der EU angeführt. Was hier nahegelegt wird, liegt auf der Hand: Die ethnischen Minoritäten sind nicht arbeitslos, weil sie im aufgrund ihrer niedrigen Qualifizierung nicht gebraucht werden, sondern weil sie "ausgegrenzt" werden.

Neu ist diese Form von bevormundender Sozialplanung nicht. Sie hat ihre Ursprünge in den USA, wo sie als social engineering in den sechziger Jahren angestoßen wurde. An die Stelle des Sozialforschers als "Arztes der Gesellschaft", der in den USA das Bild prägte, treten jetzt die Institutionen der EU als vermeintliche Bürgerrechtsbewegung von oben.

Tatsächlich geht es hier unter dem Deckmantel der Parole "Mehr Rechte für die Erniedrigten und Beleidigten" um die Aufnötigung von Lebenshaltungen und Lebensformen, die mehr und mehr totalitäre Formen annimmt. Zu Erreichung dieses Zieles wird das hochsubventionierte antirassistische Netzwerk immer enger gesponnen. Dabei spielen Nichtregierungsorganisationen (NRO) eine tragende Rolle, weil sie, laut "Aktionsplan gegen Rassismus" "die Aktionen an der Basis fördern" und gleichzeitig dafür sorgen, "daß die Rassismusproblematik nicht von der politischen Tagesordnung verschwindet". Daß sie nicht von der "politschen Tagesordnung" verschwindet, ist wiederum hinreichender Grund für die Dauersubventionierung antirassistischer NRO.

Im Zusammenhang mit den NRO ist insbesondere das Kompendium über die "Pilotprojekte zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie zur Integration ethnischer Minderheiten" vom Januar 2000 zu nennen (Hrsg.: Generaldirektion V, Beschäftigung und Soziales). In diesem Kompendium findet sich ein Überblick über "antirassistische" Projekte von NRO, die mit EU-Mitteln (und damit vorrangig mit deutschen Steuergeldern) gefördert werden. Unter diesen Projekten findet sich u.a. ETHNICPLUS, worunter ein mittelfristiges portugiesisches Projekt "zur Förderung der sozialen Integration in multikulturellen Gemeinden in Europa durch die Anregung ethnischer Minderheiten zur Unternehmertätigkeit in der Privat- und Solidarwirtschaft" zu verstehen ist. "der das englische Projekt "Nachrichtendienst ohne Grenzen", das unter der Rubrik "Entwicklung von Methoden zur Unterstützung von Presse und Medien im Hinblick auf deren Beitrag zur Bekämpfung des Rassismus" läuft. Die Medien werden laut "Aktionsplan gegen Rassismus" als wichtige Partner angesehen, "denn sie müssen zum einen über die Gefahren des Rassismus informieren und gleichzeitig sicherstellen, daß dabei keine stereotypischen Darstellungen und Vorurteile transportiert werden".

Es überrascht daher nicht, daß es Ziel des angesprochenen "Nachrichtendienstes für Lokalsender" ist, sich an bestimmte Bevölkerungsgruppen zu wenden, "um ihnen eine Ausweitung ihrer Berichterstattung über antirassistische Themen in Europa zu ermöglichen und die Verbindung zur Antirassismusbewegung zu verstärken". Für das auf 108.440,42 Euro taxierte Projekt gewährt die EU den satten Zuschuß von 97.596,00 Euro. Dazu passend wird die Auslobung eines Preises für Toleranz im Journalismus des in Brüssel ansässigen Internationalen Journalistenverbandes (IFJ) gefördert. Dieses Projekt strebt die Auszeichnung eines "Qualitätsjournalismus" an, der einen "Beitrag zum besseren Verständnis innerhalb der multikulturellen Gesellschaft Europas" leistet. Unter den "erwarteten Projektergebnissen" steht zu lesen: Das Projekt "wird Journalisten zum Engagement im Kampf gegen Rassismus ermutigen".

Förderung von schwarzen und ethnischen Minderheiten

Schließlich darf auch ein Projekt zur "Aufdeckung diskriminierender Praktiken gegenüber schwarzen sowie ethnischen Minderheiten angehörenden Fach- und Führungskräften" nicht fehlen, das mit satten 90.000 Euro unterstützt wird. Initiator dieses Projektes ist die in London ansässige Organisation "Runnymede Trust", die feststellt, daß "schwarze und ethnische Minderheiten unter den Fachkräften" und in höheren Führungspositionen inEuropa nach wie vor "unterrepräsentiert" seien. Auf kritische Nachfrage werde, so die Auskunft von Runnymede Trust, häufig vorgebracht, "es gebe nicht genügend qualifizierte Schwarze und Angehörige ethnischer Minderheiten, die solche Positionen einnehmen könnten". Da nicht sein kann, was nicht sein darf, soll hier schnellstens Abhilfe geschaffen werden.

Meint: Der Anteil schwarzer sowie anderer ethnischer Minderheiten in qualifizierten Berufen muß schnellstens gesteigert werden. Dafür soll eine europäische Konferenz über "Praktiken bei der Beschäftigung von Schwarzen und Angehörigen ethnischer Minderheiten" einberufen werden. Über all dem thront als antirassistischer Wachturm gemäß Verordnung 1035/97 des Rates die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien, der weitreichende Aufklärungs- und Koordinierungsaufgaben zukommen. Aufgabe dieser Beobachtungsstelle (EUCM), die am 7. April dieses Jahres in Wien eröffnet wurde, ist die Untersuchung von "Ausmaß und Entwicklung der Phänomene und Erscheinungsformen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus". Ins Leben gerufen wurde EUCM allerdings schon im Juni 1997 im Rahmen des bereits angesprochenen "Europäischen Jahres gegen Rassismus".

Zu den Aufgaben von EUCM gehört die Speicherung und Analyse von Daten, die ihr von Forschungszentren, Mitgliedstaaten, den Gemeinschaftsorganen, internationalen Einrichtungen und nichtstaatlichen Organisationen übermittelt werden. Um die Überwachung zu perfektionieren, soll EUCM desweiteren ein "Europäisches Informationsnetz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" (RAXEN) einrichten und koordinieren, das mit nationalen Universitätsforschungszentren, Nichtregierungs- und internationalen Organisationen zusammenarbeitet. Schließlich gehört es zu den Aufgaben von EUCM, Forschungsarbeiten durchzuführen und wissenschaftliche, vorbereitende "Machbarkeitsstudien" zu erstellen, Fachtagungen zu organisieren sowie einen jährlichen Bericht zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Gemeinschaft vorzulegen.

Der vor kurzem veröffentlichte erste Jahresbericht (1998) zeigt bereits, was von EUCM zu erwarten ist. Angeblich, so der Tenor dieses Berichtes, sei heute ganz Europa von einem Anstieg des Rassismus bedroht. Daß die flächendeckende Überwachung noch nicht so recht funktioniert, wird eingeräumt. Es seien nur öffentlich gewordene Fälle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit berücksichtigt worden, heißt es in dem Bericht. Dennoch ist die Datengewinnung beeindruckend ausgefallen: Frankreich zum Beispiel hatte, so steht in dem Bericht zu lesen, 165 Einschüchterungsversuche (Drohungen, Graffiti, Flugblätter, Beleidigungen, kleinere Straftaten) zu verzeichnen, davon 81 antisemitische. Und das allerschlimmste: 67 Prozent der Franzosen sprachen sich in einer nationalen Umfrage in ewiggestriger Manier für eine strengere Kontrolle der Einwandererstrsöme aus, 24 Prozent seien sogar Verfechter einer vollständigen Schließung der Grenzen.

Selbst das angeblich liberale Dänemark ist ein Hort des finstersten Rassismus, weil in dänischen Unternehmen 28 Prozent der Ausländer zwischen 25 und 49 Jahren keine Arbeit finden würden, "mit Spitzenwerten von 35 Prozent bei Türken und Pakistani und 60 Prozent bei den erst vor kurzem eingewanderten Personen zum Beispiel aus Somalia". Empört zeigt sich der Bericht darüber, daß sich beispielsweise in Portugal "ein hoher Prozentsatz der Roma und der Afrikaner im Gefängnis befindet oder das staatliche Mindesteinkommen" erhalte. In der kruden Vorstelllungswelt der europäischen Gesellschaftsdiagnostiker sind afrikanische und Roma-Straftäter deshalb kriminell, weil sie "ausgegrenzt" und im Hinblick auf staatliche Alimentierungsleistungen "diskriminiert" werden. Mit anderen Worten: Roma- und afrikanische Straftäter können für ihre Straftaten nicht verantwortlich gemacht werden, weil sie "Opfer" seelenloser europäischer Gesellschaften geworden sind.

Die "überzeugte Europäerin" Beate Winkler, Direktorin von EUCM, will hier schnellstens Abhilfe schaffen. In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 5. April dieses Jahres charakterisierte sie ihre Mission: Sie wolle mit ihrer Arbeit "Europa eine Seele geben". Die Hauptgefahr sieht Winkler "in der schleichenden Banalisierung und Gewöhnung an rechtspopulistische Inhalte". "Statt in den Anderen Feinde oder Neider zu sehen", sagt Winkler, "sollten die Europäer die grandiosen Möglichkeiten der Vielfalt erkennen". Meint: Wenn Europa nicht vergreisen will, sollten die Europäer einer unbegrenzten Zuwanderung, die die UNO für Europa auf Hunderte von Millionen Menschen bis 2050 taxiert, doch bitte keinen Widerstand mehr entgegensetzen.

Verdächtigungen und Denunziationen nehmen zu

Winklers Argumente widerlegen all diejenigen, die auf eine Erosion des Einflusses des politisch-korrekten Meinungskartells hoffen. Vielmehr ist mit einer Zunahme der bereits jetzt allgegenwärtigen Verdächtigungen- und Denunziationen zu rechnen, das als später Sieg des geistigen Mentors der 68er-Bewegung, Herbert Marcuse, gewertet werden kann. Auf diesen geht die Idee zurück, mittels sozialem Zwang die Errichtung derjenigen Verhältnisse herbeizuführen, in denen sich, so die Vorstellung Marcuses, "der Mensch endlich frei entfalten" kann.

Marcuse begründete diesen Zwang im August 1968 gegenüber dem Spiegel: Das Ziel müsse "die Schaffung eines ’neuen Menschen‘" sein, "weil die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft den Punkt erreicht hat, wo ein solcher Mensch nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist". Nach Marcuse muß deshalb den "rückschrittlichen Bewegungen" die Toleranz entzogen werden, ehe diese aktiv werden könnten. Intoleranz müsse gegenüber "dem Denken, der Meinung und dem Wort geübt werden". Die "parteiischeToleranz", so wie Marcuse sie versteht, verlangt, daß "Gruppen und Bewegungen die Rede- und Versammlungsfreiheit entzogen wird, die eine aggressive Politik, Aufrüstung, Chauvinismus und Diskriminierung aus religiösen und rassischen Gründen befürworten oder sich der Ausweitung öffentlicher Dienste, sozialer Sicherheit, medizinischer Fürsorge usw. widersetzen".

Wem diese "Intoleranz" zu gelten hat, darüber hat Marcuse nie den leisesten Zweifel gelassen: Intoleranz sei gegenüber "den Konservativen und der politischen Rechten" geboten. Vor diesem Hintergrund ist die Stigmatisierung der derzeitigen österreichischen Regierung nur folgerichtig. Deren Ausgrenzung zeigt, daß sich die EU mehr und mehr in Richtung Erziehungsdiktatur bewegt.


 
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