© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Ohne dumpfe Antifa-Rituale
Oper: Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg"
Peter Knoll

Habt Acht! Uns dräuen üble Streich: Zerfällt erst deutsches Volk und Reich, / in falscher welscher Majestät / kein Fürst bald mehr sein Volk versteht, /und welscher Dunst mit welschen Tand / sie pflanzen uns in deutsches Land; /...Drum sag ich Euch: Ehrt Eure deutschen Meister!"

So singt Schustermeister Hans Sachs am Ende der "Meistersinger" – eine Passage, bei der es einigen Zeitgenossen eisig über den Rücken läuft. Dabei geht es um Kunst, meint der französische Dirigent Philippe Auguin. Mit "welschen Tand" ist die italienische Oper gemeint, die zu Wagners Zeit die Bühnen dominierte. Selbst in Paris sprach die Oberschicht mit einem kleinen italienischen Akzent. Wagner wollte einfach die übermächtige italienische Konkurrenz schlecht machen.

Für Adolf Hitler waren die Meistersinger die deutsche Nationaloper par excellence. Propagandaminister Josef Goebbels bezeichnete die "Meistersinger" als das "deutscheste immerdar", als "vollendeten Ausdruck des germanischen Wesens" usw. Die jährlichen Parteitage der NSDAP in Nürnberg begannen mit den "Meistersängern", dirigiert von dem legendären Wilhelm Furtwängler. Trotzdem weigerten sich viele Parteimitglieder, in die Oper zu gehen und wurden auf Anordnung der Parteiführung aus den benachbarten Wirtshäusern eingesammelt. Ab 1935 öffneten sich die Aufführungen für das zivile Publikum, weil die Parteimasse zu träge war, so Parteiführer Albert Speer.

Verständlich ist es schon, daß sich die Aktivisten der NSDAP schwertaten, die ganze Aufführung ruhig sitzend durchzustehen. Immerhin dauerte sie über fünf Stunden. Obgleich sich die Kostüme von 1935 sehen lassen können, die jetzt zur Premiere im dritten Akt wieder verwendet wurden: Die Handwerker in schwarzen Kutten, der Frauenchor in braunroten Kostümen, mit weißen und schwarzen Hauben. Wie gesagt, wirklich schön, besonders wenn man sie mit Ausstattungen von heute vergleicht, wo einen manchmal das Gefühl beschleicht, daß eine Putzkolonne auf der Bühne steht oder Nachtgestalten aus dem benachtbarten Hauptbahnhof.

Wolfram Mehring inszeniert die ersten beiden Akte recht brav und gemütlich. Thema der Oper, mehr Komödie als Drama: Der Kampf um die richtige Auslegung und Einhaltung der Zunftregeln in den engen Gassen Nürnbergs, um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Konflikt gewinnt an Schärfe, als Ritter von Stolzing die einzige Tochter von Veit Pogner heiraten möchte. "Es muß ein Meistersinger sein", meint Gold-schmiedmeister Pogner. Ritter von Stolzing kennt die Gesangsregeln nicht – und die Konkurrenz an Meistersingern und Hochzeitern ist wachsam.

Die Bühne wird durch hohe, fensterlose Stadtmauern geteilt, die Mauersteine nur angedeutet – viel schlichter und ärmlicher als die wirkliche Stadtmauer mit ihren Rundgängen und Balkonen. Die fensterlose Fassade wird unterbrochen durch die Schusterwerkstatt von Hans Sachs und einen Fliederbaum, der zum Verstecken einlädt. Von Zeit zu Zeit öffnen sich die engen Mauern, und es zeigt sich ein Theater im Theater – nach dem Modell von Shakespeares Globe-Theater.

Im letzten Teil der "Meistersinger" marschieren die Handwerker auf, wie bereits erwähnt in den Kostümen von 1935, geführt von Feldstandarten der SS, begleitet von euphorischer, strahlender Musik, die aus dem Orchestergraben aufsteigt. Den Hintergrund bildet das imposante Parteitagsgelände. Erst als Hans Sachs zum "Ehrt Eure deutschen Meister" anhebt und der Bundesadler das Parteitagsgelände ersetzt, wird man aufgerüttelt von der Ankunft in der Gegenwart. Die Kuppel des Reichstages überstrahlt die Bühnendecke, die Chöre ziehen ihre Trachten aus und stehen mit modischen Anzügen und Kostümen auf der Bühne.

Man spürt einfach, daß Regisseur Mehring lange Zeit im Ausland tätig war (Frankreich, Schwarzafrika und Asien) und sich so eine gewisse Distanz zu hysterischen Geschichtsdiskussionen bewahrte. Er war nicht bereit, die 950-jährige Geschichte Nürnbergs auf negative Punkte der berüchtigten zwölf Jahre zu reduzieren. Zwar liefert Mehring eine politische Inszenierung, er verzichtet jedoch auf oberflächliche Aufklärung und ritualisierten Antifaschismus. Im Gegenteil: Er fasziniert mit der Magie nationalsozialistischer Massenaufmärsche und Symbolik (ohne auf die Nachteile dieser Zeit hinzuweisen). Nur die Hakenkreuze fehlten.

Natürlich kann man Mehring vorwerfen, daß er die Regieanweisungen von Richard Wagner nicht beachtet und mit dem Heidelberger Philosophen Rüdiger Bubner fordern, daß sich die Regisseure zugunsten des Originals zurücknehmen sollten (geschehen vor kurzem auf dem Kongress "Ästhetik der Inszenierung" in Frankfurt). Selbst die Nationalsozialisten waren viel zögerlicher, die Aufführungspraxis zu manipulieren, als das heutzutage üblich ist. Inzwischen kommt es schon mal vor, dass die Regisseure aus einem jugendlichen Frauenhelden einen schwulen Opa machen.

Über ein eindrucksvolles schauspielerisches Talent bei der Nürnberger Premiere verfügte Richard Salter als Beckmesser. Er notierte alle Fehler bei Ritter von Stolzing, hinter einem Vorhang stehend, auf einem Balkon, so unbarmherzig und übertreibend wie der Literaturschreihals Marcel Reich-Ranicki.

Interessant sind die Volkstänze in Zeitlupe und die als Rauschgoldengel verkleidete Hochzeiterin Eva. Nette Evas aus Skandinavien kommen zu Galavorstellungen in diesem Sommer nach Nürnberg, zusammen mit Opernstars wie Wolfgang Brendel und Bernd Weikl.

 

Karten für die Nürnberger Oper (Richard-Wagner-Platz 2-10, 90443 Nürnberg) unter Tel. 0911 / 2 31 38 08 sowie http://www.oper.nuernberg.de  


 
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