© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Eine Keimzelle des freien Litauens
Interview: Der litauische Historiker Viktoras Alekna über die Geschichte der "Waldbrüder"
Hansjörg Müller

Herr Alekna, was darf man sich unter den "Waldbrüdern" vorstellen?

Alekna: Im Jahre 1944, als die deutsche Armee sich zurückzog und die Russen nach Litauen kamen, entstand bei uns die Partisanenbewegung, die sich gegen die sowjetische Macht richtete. Anfangs war diese Bewegung sehr schwach. Später, nach dem Krieg, als erkannt wurde, daß die Litauer ihre Unabhängigkeit nicht mehr haben werden, gingen viele junge Leute in den Wald. Diese Bewegung forderte viele Opfer, etwa 30.000 junge Männer kamen im Kampf gegen KGB-Truppen ums Leben. Schon im Jahre 1940, als Litauen von den Sowjets besetzt wurde, begann die Terrorisierung des gesamten litauischen Volkes. Drei Wochen nach der Besatzung wurden viele führende Kräfte: Geschäftsleute, Parteileiter und ihre Anhänger ins Gefängnis geworfen. Viele von ihnen sind dort gestorben. Am 14. Juni 1941 begann die erste "Evakuierung" der Litauer in östliche Gebiete Rußlands. In dieser ersten Etappe mußten etwa 30.000 Menschen, zehn Prozent der Bevölkerung, unter Zwang ihre Heimat verlassen.

War das überwiegend die Intelligenz?

Alekna: Ja, aber auch Geschäftsleute und reiche Bauern. Dadurch wollte die sowjetische Verwaltung gleichzeitig die Menschen wegschaffen und ihr Hab und Gut dem russischen Staat übergeben. Nach der ersten sollte auch die zweite "Evakuierung" stattfinden, die scheiterte, weil nach einer Woche der Krieg ausbrach. Die Namenslisten wurden schon zusammengestellt, auf denen sich auch mein Name befand. Wenn der Krieg am 22. Juni 1941 nicht ausgebrochen wäre, wäre ich in der zweiten Evakuierung nach Osten verschleppt worden. Nach dem Krieg hatte ich Kontakte zur Partisanenbewegung. Als Gegner der Sowjets wurde ich im August 1945 verhaftet. Ich wurde zu zehn Jahren Lagerarbeit in Workuta verurteilt. Dort habe ich sechs Jahre als Grubenarbeiter in einer Kohlenzeche verbracht. 1956 kehrte ich nach Litauen zurück. Fünfzehn Jahre war ich als Lehrer tätig, bis ich 60 wurde. Seit 1975 bin ich Rentner. Als ich aus dem Lager kam, herrschte überall die Sowjet- Ideologie. Man mußte sich anpassen, um im neuem Leben und Beruf zurechtzukommen. Eigentlich war es für mich nicht so schwer, weil ich die litauische Sprache unterrichtete, die mit Politik nichts zu tun hatte. Mit der Zeit nahm der politische Einfluß auf die Schulausbildung immer mehr zu, ich war wirklich froh, daß ich aufhören konnte.

Wann begann die Partisanenbewegung, und in welche Richtung verbreitete sie sich?

Alekna: Im Jahre 1942. Damals bereitete sie Aktionen gegen die deutsche Besatzungsmacht vor. Ab 1944 kämpften sie offen gegen die sowjetische Macht. Darüber habe ich mein Buch "Es rauschte der grüne Wald" geschrieben.

Gibt es dieses Buch auch auf russisch?

Alekna: Nein. Dieses Buch gibt es nur in der litauischen Sprache. In der Nähe von Vilnus befindet sich der Tschelinskij-Kreis, wo ich 34 Jahre wohnte.

Haben sich die letzten Partisanen ergeben, oder wurden sie gefangengenommen?

Alekna: Nein, sie ergaben sich nicht. Viele von ihnen erschossen sich oder sprengten sich mit Granaten. Die Partisanen hatten ein ungeschriebenes Gesetz: "Sich lebend nicht ergeben".

Wie hat sich die Bevölkerung gegenüber den Partisanen verhalten?

Alekna: Anfangs unterstützte die Bevölkerung sie. In meinem Buch gibt es eine Liste mit 1.000 Namen aus einem Kreis: Partisanen und ihre Helfer.

Hat sich das Verhalten der Bevölkerung gegenüber den Partisanen geändert, nachdem im Jahre 1946/47 klar wurde, daß der Westen sie nicht unterstützen wird?

Alekna: Es gab einige, die sich geändert haben, aber viele hofften, vom Westen Unterstützung zu bekommen, deswegen standen sie den Partisanen weiter bei. Die Bewegung existierte bis in die Jahre 1952/53.

Was passierte mit den letzten Anführern?

Alekna: Keiner von den wichtigen Anführern ist am Leben geblieben. Schon im Jahre 1945 wurden etwa 700 erschossen. Andere, die nicht so gefährlich für die Sowjetmacht galten, wurden zu 25 Jahren Haft verurteilt. Wir müssen nicht vergessen, daß in den Lagern kaum richtige Partisanen waren, sondern nur ihre Helfer oder Verwandten. Wie ich schon sagte, echte Partisanen fielen entweder in den Kämpfen oder erschossen sich. Jeder, der in Verdacht kam, den Partisanen geholfen zu haben, wurde verurteilt. Etwa 30.000 Litauer sind aus ihrer Heimat nach Sibirien verschleppt worden. Das dauerte bis zum Jahre 1951. Die Sowjets wollten unser Land auf der Karte nur als geographischen Namen stehen lassen, aber ohne Litauer.

Gelang es, lebende Kämpfer zu finden?

Alekna: Ja, das ist mir gelungen. Im Buch gibt es auch ihre Fotos. Einer zum Beispiel lebt noch, er war im Jahre 1946 schwer verwundet worden. Die Partisanen haben ihn bei einer Familie versteckt, wo er ein ganzes Jahr bis zu seiner Genesung verbrachte. Aber er wurde doch verraten und zu 15 Jahren Lagerarbeiten verurteilt. Danach kehrte er in seine Heimat zurück.

Als Ihr heutiger Staatspräsident Valdas Adamkus gewählt wurde, berichtete unsere Presse, daß er als 15jähriger Junge im Jahre 1944 zusammen mit anderen Menschen zuerst nach Deutschland und dann nach Amerika floh. Hat er an dem Partisanenkampf aktiv teilgenommen, oder war er nicht daran beteiligt?

Alekna: Er war damals fast 18, er ist 1926 geboren. Die Deutschen hatten aus jungen Litauern Bataillone gebildet, die zusammen mit ihnen gegen die Russen kämpften. Im Jahre 1944, als die Wehrmacht sich zurückzog, kehrten diese Bataillone zurück nach Litauen. Litauische Kämpfer trafen ihre Entscheidung – nicht weiter nach Westen zu gehen, sondern in Litauen gegen die Rote Armee zu kämpfen. In einem nordwestlichen Bezirk blieben sie stehen, dort kamen auch erste sogenannte Partisanen zusammen. Unser Präsident erzählt, daß er auch dort war. Es gab eine erbitterte Schlacht, bei der viele Litauer ums Leben kamen. Die, die am Leben blieben, zogen sich mit den Deutschen weiter nach Westen zurück, darunter war auch unser Präsident.

War Ihr Präsident ein Mitglied des litauischen Bataillons oder bei den Partisanen?

Alekna: Nein, er war nicht im Bataillon, er war kein Soldat, er war bei den Partisanen. Diese Partisanen hießen "Raubvögel". Sie hatten zahlreiche Mitkämpfer, aber sie waren schlecht bewaffnet. Das war der Hauptgrund, warum die jungen Litauer im Kampf gegen die sowjetische Armee wenig Erfolg hatten. Trotzdem war das ein historischer Kampf zwischen zwei Armeen.

Was war der Hauptunterschied zwischen der deutschen und sowjetischen Besatzungspolitik in den Augen der Litauer?

Alekna: Während der deutschen Okkupation lebten die Litauer fast frei. Sie konnten ihre Kultur weiterentwickeln. Unser Volk hatte Schulen, Zeitungen und Bücher in litauischer Sprache. Nur wirtschaftlich waren wir von den Deutschen abhängig, weil es eine Pflicht gab, bestimmte Mengen landwirtschaftlicher Produkte abzugeben. Auch unsere gesamte Wirtschaft arbeitete für die deutsche Armee. Trotzdem sah unsere politische Zukunft unter den Deutschen nicht so gut aus. Um 1942 erklärte Alfred Rosenberg, daß alle Litauer nach einem Sieg über Rußland in die östlichen Gebiete verschleppt würden. Nach diesem Projekt war Litauen als Siedlungsgebiet für Deutsche vorgesehen. Das nährte den litauischen Widerstand gegen die Deutschen. Erst 1944 hat ein litauischer General dazu aufgerufen, in die litauische Armee an der Seite der Deutschen einzutreten.

Wann ist das genau passiert?

Alekna: Das war Mai 1944, als der Krieg noch im Osten geführt wurde. Einige der litauischen Kämpfer wurden nach Deutschland als Arbeitskräfte verschleppt, andere versteckten sich vor der deutschen Verwaltung. Im März 1943 schlossen die Deutschen alle Hochschulen. Einige Professoren wurden ins Lager Stutthof bei Danzig gebracht. Insgesamt waren in diesem Lager etwa 200 litauische Gefangene. Viele von ihnen starben, weil die Lebensbedingungen sehr schlecht waren. Das beweist, daß die Litauer 1943/44 einen geheimen Kampf gegen die Deutschen führten. Im Jahre 1943 wurde aus den Vertretern verschiedener Parteien die Hauptverwaltung der litauischen Bewegung aufgebaut.

Begann der wirkliche Partisanenkampf erst gegen die sowjetische Okkupation?

Alekna: Ja, gegen die Deutschen wurde kein Partisanenkampf geführt.

Der Anteil der russischen Bevölkerung in Estland und Lettland beträgt an die 50 Prozent, in Litauen sind es nur neun Prozent. Gibt es hier einen Zusammenhang mit dem Partisanenkampf?

Alekna: Ja, da bei uns der Partisanenkampf geführt wurde, hatten die Russen Angst, in Litauen zu siedeln. Diejenigen, die zurückkamen, waren echte Litauer.

 

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