© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Schulterklopfen statt Milliardenregen
Carl Gustaf Ströhm

Kroatien war bis zum Tode seines "nationalistischen" Präsidenten Tudjman und dem Wahlsieg der Linken Anfang Januar das "schwarze Schaf" unter den mittel- und osteuropäischen Staaten. Jetzt aber herrscht in den politischen Korridoren des Westens eitel Sonnenschein: USA und EU klopfen den Kroaten auf die Schulter wegen ihrer untadelig demokratischen Gesinnung. Der bisherige "Außenseiter" wird sogar in die Nato-"Partnerschaft für den Frieden" aufgenommen, was bedeuten könnte, daß kroatische Soldaten – wie schon früher – für übernationale Gemeinschaften ihren Kopf riskieren müssen.

Ein Gradmesser für die wirkliche Stimmung im Lande waren die jüngsten Kommunalwahlen in der Hauptstadt Zagreb. Hier erreichte die aus der KP hervorgegangene "Sozialdemokratie" (SPD) zwar mit 21 Prozent eine Spitzenposition und wird nun gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern – Liberalen, Bauernpartei, istrischen Autonomisten und Kroatischer Volkspartei – die kommunale Macht übernehmen.

Allerdings: der wirkliche Stimmenanteil der SPD in der kroatischen Millionenmetropole beträgt weniger als 7 Prozent, denn die Zagreber haben während der Kommunalwahl einen Negativrekord erzielt: nur etwas mehr als 30 Prozent gingen zur Wahl. Hundert Tage nach dem Sieg der Anti-Tudjman-Koalition demonstrierten die Bewohner der Hauptstadt ihr totales Desinteresse und ihre Desillusionierung mit jedweder Politik.

Politische Analytiker stellen bereits die Frage nach der Legitimation und Legitimität einer Mehrheit, die nur eine verschwindene Minderheit der Bevölkerung repräsentiert. Offensichtlich ist die Bevölkerung von der neuen, vom Westen bejubelten Regierung schwer enttäuscht. Stärkste Partei in Zagreb und wahrscheinlich in ganz Kroatien ist die "Partei der Nichtwähler". Daß die amorphe "Partei der Nichtwähler" zu einem Problem werden kann, spürt man auch im Westen: Wahlbeteiligung in NRW: 56 Prozent! Aber daß die Nichtwähler zehn Jahre nach der Einführung freier Wahlen über eine Zweidrittelmehrheit verfügen, ist eine Sensation – wenn auch keine positive.

Die Gründe sind vielschichtig: Das Linksbündnis unter reformkommunistisch/sozialdemokratischer Führung versprach rasche ökonomische Besserung und erhöhte Löhne und Renten, wenn die Wähler nur Tudjmans Partei den Rücken kehrten. Statt dessen hat sich die Lage während des letzten Vierteljahres dramatisch verschlechtert. Die Bevölkerung hoffte auf einen warmen Geldregen aus dem Westen – aber der ist bisher ausgeblieben. Außer Schulterklopfen erhielten die Kroaten vom Westen bisher kaum etwas.

Die vom Westen erzwungene massenhafte Rückkehr der Serben, die 1995 mit der serbisch-jugoslawischen Armee fluchtartig das Land verließen, hat bereits zu ersten ernsten Zwischenfällen geführt. Die teils vollzogene, teils drohende Auslieferung siegreicher kroatischer Generäle als Kriegsverbrecher ans Haager Tribunal hat im kroatischen Bewußtsein tiefe Wunden aufgerissen. Hinzu kommen schwere Konflikte innerhalb der Koalition und öffentlich ausgetragene Rivalitäten zwischen Präsident Mesic einerseits und dem ex-kommunistischen Premier Ivica Racan andererseits.

Vieles von diesen Problemen ließe sich vielleicht bewältigen, wäre die postkommunistische Struktur Kroatiens nicht so labil. Sollten sich die angestauten Widersprüche kumulieren, könnte eine nicht ungefährliche Destabilisierung die Folge sein.


 
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