© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Pankraz,
die Jesuitenweisheit und das Dementi als Scoop

Allmählich kann man sie nicht mehr zählen, die Fülle der Dementis, die jeden Tag in der Öffentlichkeit abgegeben werden. Ein Großteil der Abendnachrichten besteht schon aus Dementis. Ganze ausgedehnte Presseabteilungen von Parteien und Konzernen empfinden sich nur noch als "Dementiermaschinen", und die Medienwissenschaftler beginnen, über "Sinn und Umfang von Dementis" nachzudenken.

Was muß ein Pressesprecher beachten, damit sein Dementi als glaubhaft erscheint und nicht im Gegenteil als Bestätigung der zu dementierenden Nachricht aufgefaßt wird? Gibt es Dementis ersten, zweiten, dritten, n-ten Grades? Läßt sich mit Dementis aktive, positiv ausgreifende Politik machen? Was ist besser, eine Falschmeldung dementieren oder einfach ignorieren? Was ist von dem alten Wiener Hausmittel gegen Gerüchteküchen, "Net oamal ignoriern!", zu halten?

In den Presseabteilungen schimpft man auf den "Sittenverfall" bei den Journalisten. Zu viel Gesindel sei in diese Berufsklasse eingezogen, zu groß sei dort der Konkurrenzdruck, so daß die früher so gern arrangierten "vertraulichen Gespräche" oder "Hintergrundgespräche zur Pflege des publizistischen Umfelds" gar nicht mehr möglich seien. Was auch immer dem Gehege der Zähne entweiche, ob nun vertraulich oder nicht vertraulich, stehe am nächsten Tag in der Zeitung und eine ganze Menge Zeugs dazu, von dem im Briefing auch nicht ansatzweise die Rede gewesen sei.

Auch die Journalisten freilich beklagen sich. Die Pressesprecher, so ihr Tenor, gäben keine klaren, unzweideutigen Auskünfte mehr, führten sich statt dessen als Pythia auf, streuten selber und von sich aus Gerüchte, die sie später mit frecher Unschuldsmiene dementierten. Der politische und großökonomische Verlautbarungsbetrieb gleiche immer mehr einem Billardspiel, in dem nur noch über die Bande gespielt werde, um viele Ecken herum oder gar von vornherein in der schnöden Absicht des "Snookerns", wo also die Bälle so zusammengebracht werden, daß überhaupt keine klare Sicht mehr möglich ist.

Wahrscheinlich liegt es aber weder an den Journalisten noch an den Presseabteilungen, sondern an der ungeheuren quantitativen Ausweitung der modernen Medien. Es gibt mittlerweile mehr Nachrichtenkanäle als Nachrichten, so daß die Kanäle ihre Nachrichten selber produzieren. Die Welt der Möglichkeit, des "Es-könnte-sein", überspült die Welt der Wirklichkeit, des "Es-ist-so".

Allerorten gehen Analysten und Mutmaßer in Stellung, die die real Handelnden beäugen und kommentieren. Diese, bzw. ihre Pressesprecher, können dem Druck gar nicht widerstehen, sie müssen auf jeden Fall irgend etwas sagen, um des puren Überlebens willen, allein damit man weiß, daß sie noch da sind. Und das macht ihre Statements dann trübe und interpretationsbedürftig. Das Dementi ist nur eine beiläufige Einzelpirouette in solchem Spiel.

Deshalb wird es ja auch nicht im geringsten mehr ernst genommen. Eine Sache dementieren, bedeutet heute faktisch immer, sie in gewisser Weise zu bestätigen, sie zumindest für wichtig zu halten und für diskutierwürdig zu erklären. Das Ignorieren oder "Net oamal ignoriern" ist mit Sicherheit die bessere Abwehr. Fürs Dementieren ist später allemal noch Zeit, bevor man, in der Endphase, mit der Wahrheit herausrückt und das Dementi seinerseits dementiert.

Wobei wohl noch ein Wort zur Kunst des "Net oamal ignoriern" fällig wäre. Diese altösterreichische Variante des Dementis zeichnet sich dadurch aus, daß sie – sehr klug – dem prononcierten Beschweigen einer Sache aus dem Weg geht. Prononciertes Beschweigen kann sehr leicht als Betroffenheit gedeutet werden, als halbes Überführtsein. Der "Net-oamal-Ignorierer" weiß das und weicht deshalb insistierendem Fragen keineswegs aus, sondern bespricht den fraglichen Kasus durchaus, allerdings mit einer derartigen Gleichgültigkeit, mit einer derartigen Belustigtheit, daß jedem Befrager schnell die Lust vergeht.

Es ist dies, wie gesagt, eine Kunst, die bisher nur wenige Pressesprecher beherrschen. Sie halten es lieber mit der alten Jesuitenweisheit: "Si quid fecesti, nega!", was auf deutsch heißt: "Hast du wirklich etwas getan, so streite es ab, und zwar vollständig und mit tiefster Empörung in der Stimme."

Natürlich heißt das meistens nichts anderes als "lügen, lügen und noch einmal lügen". Doch sei daran erinnert: Das moderne Medienwesen, die Überfülle der Kanäle, die Verwandlung von Wirklichkeit in Möglichkeit, die Geilheit der vielen kleinen Korrespondenten auf einen "Scoop", eine "Exklusivnachricht" – das alles läßt das Gebaren der Pressesprecher in einem moralisch relativ gnädigen Licht erscheinen. Sie können oft gar nicht anders.

Im Schaltkreis zwischen Pressebüro und Korrespondentenbüro herrscht in Hinblick auf das Gebot "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden" eine Moral zu stark herabgesetzten Preisen. Darüber zu zetern, wäre verlorene Liebesmüh. Vielmehr kommt es für die Außenstehenden darauf an, das Spiel als Spiel zu durchschauen, weder den "Scoops" noch den Dementis zu trauen und in aller Ruhe abzuwarten, wohin der Hase wirklich läuft.

Was die Spieler selber betrifft, so wäre schon viel gewonnen, wenn sie sich ordentlich an die Rollenverteilung hielten: hier geiler Scoop-Jäger, dort empörter Dementierer. Das Schlimmste, sachlich wie moralisch Unerwünschteste ist auch hier wieder einmal die Vermischung, also der Dementierer als heimlicher Scoop-Lieferant und der Scoop-Jäger als heimlicher Dementi-Transporteur.

Leider muß man im Augenblick davon ausgehen, daß genau diese unreinliche Vermischung der mediale Normalfall ist, in Berlin und anderswo.


 
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