© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Blick in die Medien
Rote Zahlen
Ronald Gläser

Sämtliche Experten stellen sich die Zukunft des Fernsehens so vor: Der Zuschauer ist nicht länger auf ein vorgefertigtes Programm angewiesen, sondern er kann sich aus einem unendlich großen Angebot das Programm seiner Wahl aussuchen und zu jeder Tages- und Nachtzeit abrufen. Die Digitaltechnik soll das Fernsehen-auf-Abruf möglich machen. Das Problem ist nur, daß keiner diesen Service bezahlen möchte. Das bekommt gerade der Medienriese Leo Kirch zu spüren, der als Vorreiter in dieser Branche gelten kann, bisher aber immer nur Verluste erwirtschaftet hat. Nach der alten D-Box schreibt er jetzt mit "Premiere World" rote Zahlen – trotz einer millionenschweren Werbekampagne. Wer braucht schon den Porno-Kanal, wenn er RTL2 umsonst sehen kann? Und wieviele Zuschauer glaubt Kirch mit "Seasons", dem Fernsehkanal für Jäger und Angler, ködern zu können? Dabei stehen die Kunden gelegentlich Schlange, um D-Boxen zu kaufen. An einem Sonnabend im April, als Premiere exklusiv den Boxkampf Michalczewski-Rocchigiani übertrug, gingen manchen Händlern sogar die Geräte aus. Am Montag wurden die Empfangsgeräte dann ordentlich verpackt in die Läden zurückgebracht. An einem langfristigen Abonnement war keiner der Boxsportfans interessiert. Im ersten Quartal hat Premiere World sage und schreibe 180.000 Neukunden geworben. Im gleichen Zeitraum sind 152.000 Zuschauer wieder abgesprungen. Dieses Engagement ist so verlustreich für den Münchener Mediengiganten, daß man nur sagen kann: "Schade, schade, schade!"


 
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